Vom Bundesrat hätte ich mir etwas mehr Strenge gewünscht

Was bedeutet Infektionskontrolle? Wird die Pandemie vorbei sein, wenn alle, die möchten, geimpft sind? Und: Haben wir die Lage eigentlich unter Kontrolle? Antworten von einer Infektiologin.

27.04.2021

Barbara Schwede

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Was macht eine Infektiologin?

Meine Arbeit umfasst drei Aufgabenbereiche: Erstens habe ich eine Sprechstunde für ambulante Patienten, vor allem mit HIV, aber zum Beispiel auch mit unklarem Fieber, unklaren Befunden der Lymphknoten oder Nachkontrollen bei Tuberkulose. Zweitens habe ich stationäre Konsiliardienste – das heisst ich werde von Ärztinnen und Ärzten zur Beurteilung und Mitbetreuung von Patienten gerufen. Der dritte Teil ist die Infektionsprävention – früher auch Spitalhygiene genannt. Hier geht es unter anderem darum, bei ansteckenden Krankheiten dafür zu sorgen, dass sich die Keime im Spital nicht verbreiten können.

Inwiefern hat die Pandemie Ihre Arbeit verändert?

Der Schwerpunkt meiner Arbeit hat sich komplett verschoben. Vor Covid arbeitete ich pro Woche höchstens einen halben Tag in der Infektionsprävention. Im vergangenen Jahr habe ich kaum anderes gemacht, weil wir auf allen Abteilungen die Abläufe verändert und das Personal geschult haben. Ausserdem hat sich das Arbeitstempo massiv gesteigert: Gerade in der ersten Zeit der Pandemie mussten wir viel schneller Lösungen entwickeln und umsetzen als früher – so haben wir zum Beispiel innerhalb von drei Tagen eine Covid-Station auf die Beine gestellt. Die Zusammenarbeit im Spital war dabei sehr gut. Es gibt jetzt auch viel mehr Gesprächsbedarf zur Infektionskontrolle, also auch viel mehr Sitzungen. Leider ist es so, dass mein Team und ich viele Emotionen auffangen müssen – wegen der Massnahmen sind viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter frustriert, genervt oder ängstlich. Wut und Frust werden dann an uns ausgelassen. Die einen fordern stärkeren Schutz, die anderen wehren sich gegen die Regeln … und wir werden dafür angegriffen. Darunter leide ich. Auf der anderen Seite erlebe ich viel Bereitschaft zur Kooperation – das tut dann wirklich gut!

Bringt die Impfung bereits eine Erleichterung für die nächste Zeit? Wird sie einen Einfluss auf die dritte Welle haben?

Menschen über 80 haben sich auch in der ersten Welle meist gegen die Behandlung auf der Intensivstation entschieden. Die meisten Patientinnen und Patienten dort waren unter 70 – und diese sind aktuell noch nicht geimpft. Daher könnte die Impfung schon einen grossen Unterschied machen, aber faktisch wird sie auf die Belegung der Intensivstation in der dritten Welle kaum einen Einfluss haben.

Was wird in der dritten Welle anders sein? Ändern sich die Infektionen oder bleiben die Krankheitsverläufe mit den Mutationen gleich?

Darüber können wir nur spekulieren, es gibt einfach noch zu wenig Daten dazu. Momentan sind die Covid-Kranken in den Spitälern tendenziell etwas jünger als vorher.

Wie beurteilen Sie die Vorschriften des Bundesrats?

Die meisten Regelungen halte ich für sinnvoll – allerdings hätte ich mir etwas mehr Strenge gewünscht. Zum Beispiel fand ich es falsch, private Treffen mit 10 Personen zu erlauben, weil viele Ansteckungen im privaten Kontext passieren. Man isst und trinkt zusammen und trägt keine Masken. Auch die Mittelschulen hätte ich schon viel früher wieder geschlossen.

Was lernt Ihr Fachbereich von Covid für andere Infektionen? Macht die Forschung einen Schub?

Wir lernen viel über die Übertragung von Atemwegserkrankungen – es war fast schockierend, wie wenig Daten es gab. Ein Problem für uns war die Verunsicherung der gesamten Gesellschaft durch die Medien – inklusive Spitalangestellte. Im April schrieb eine grosse Zeitung, chirurgische Masken würden nichts bringen. Gleichzeitig haben wir zum Personal gesagt, sie müssten diese Masken jetzt tragen. Das gab viel Unruhe und Gesprächsbedarf. Alle zusammen haben wir viel dazugelernt. Heute sind wir alle besser informiert und das hilft mir auch bei meiner Arbeit weiter. Inwieweit sich das neu erworbene Wissen rund um Covid auf andere Krankheiten übertragen lässt, wird sich erst noch zeigen.

Wird die Pandemie zu Ende sein, wenn alle geimpft sind?

Ich getraue mich kaum noch, Prognosen zu machen, aber ich glaube nicht, dass es vorbei sein wird, denn ein Teil der Bevölkerung wird auch in Zukunft nicht geimpft sein, zum Beispiel alle Kinder, dann diejenigen, die sich nicht impfen lassen wollen. Das Virus kann also weiterhin zirkulieren und es werden sich neue Mutationen entwickeln. Ausserdem wird es Menschen geben, bei denen die Impfung weniger wirkt. Überhaupt ist es ja nicht so, dass Impfungen ein Schalter sind, den man umlegt und dann ist man immun. Sie erhöhen den Schutz und wirken besser oder schlechter. Unter Umständen ist die Impfung bei neuen Mutationen nicht mehr ausreichend wirksam, dann müssen wir nachimpfen.


Haben wir die Lage eigentlich noch unter Kontrolle?

Global gesehen sicher nicht! Diese Pandemie ist eine Herkulesaufgabe, die die Organisationsfähigkeit der Menschheit offensichtlich übersteigt – wie der Klimawandel. Das sehen wir ja schon bei der Verteilung der Impfstoffe. Würde man global denken, dann würde man den Impfstoff bevorzugt den Regionen geben, in denen die Krankheitsversorgung weniger gut gewährleistet ist. Aktuell machen wir es genau umgekehrt. Diejenigen, die sowieso schon gut versorgt sind, bekommen noch mehr Schutz durch die Impfung. Und die anderen werden noch stärker benachteiligt.

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