Interview mit Sebastian Winterhalder

Gerade in den chirurgischen Fächern ist ein wachsamer Blick entscheidend, um eine hohe Behandlungsqualität und Patientensicherheit gewährleisten zu können. Sei es im Operationssaal oder bei der Balance zwischen Einsatz auf dem Notfall und auf Station. Die Dienstplanung muss also zum Ziel haben, die Arbeitszeiten so zu gestalten, dass die geistigen und körperlichen Anforderungen auch langfristig voll erfüllt werden können. Gleichzeitig gilt es, den jungen Kolleg:innen eine hochstehende Ausbildung in angemessener Zeit zu ermöglichen. Wie dies umgesetzt werden kann, lesen Sie im Interview mit Sebastian Winterhalder, Spitalfacharzt auf der Chirurgischen Abteilung im Spital Thun.

14.12.2023

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Sebastian, wie bist du zu deiner Position als Dienstplaner gekommen?
Nachdem meine Vorgängerin ihr Amt vor drei Jahren niedergelegt hat, wurde mir von der Klinikleitung der Posten für die Dienstplanung angeboten. Da ich das Dienstsystem schon aus meiner eigenen Zeit als Assistenzarzt kannte, war das eine gute Gelegenheit, mitzuwirken. Das jetzige Dienstplanungs-System für die Assistenzärzt:innen hat sich über die Jahre so entwickelt. Wichtig ist, dass man den Blick für Veränderungen in den Bedürfnissen der Mitarbeitenden behält. Es haben sich aber einige Strukturen mit der Zeit bewährt, auch wenn sie für die neuen Mitarbeitenden zunächst gewöhnungsbedürftig sind. Wir veranstalten nach Bedarf gemeinsame Konferenzen, wo allgemeine Probleme und Anliegen besprochen werden.

Wo siehst du die Herausforderungen bei der Dienstplanung und was sind die wichtigsten Aspekte?
An oberster Stelle stehen eine hohe Behandlungsqualität und Patientensicherheit. Das Ziel der Dienstplanung muss daher sein, den Mitarbeitenden durch ausreichende Ruhezeiten eine gute Erholung und damit optimale Arbeitsplatzzufriedenheit zu ermöglichen. Andererseits muss eine gewisse Kontinuität in der Behandlung gewährleistet sein, damit möglichst wenige Informationen durch notwendige Übergaben verloren gehen. Die Kunst ist also, bei der Personalbesetzung den optimalen Mittelweg zwischen Unter- und Überforderung zu finden. Somit kann eine qualitativ hochwertige, zeit- und ressourcenschonende Behandlung gewährleistet werden. Auf der Chirurgie sind wir sicherlich eine hohe Arbeitsbelastung gewohnt und haben uns diese in der Regel auch ganz bewusst ausgesucht.

Wie sieht die Dienstplanung bei euch konkret aus?
Wir sind mit konstanter und guter Besetzung der Assistenzärzte in der Lage, alle Dienste regelkonform abzudecken und auch die Kompensationszeiten entsprechend zu gewährleisten. Auch die Überzeiten, die sich speziell in unserem Fachgebiet während der Corona-Pandemie angesammelt haben, konnten wir zwischenzeitlich abbauen. Limitationen sind insbesondere kurzfristige Absagen eines geplanten Stellenantritts oder frühzeitige Stellenwechsel aufgrund der persönlichen Laufbahnplanung. Das beeinträchtigt die Kontinuität des Teams und provoziert Überbelastungen, vor allem bei den übrigen Assistenzärzt:innen.

Aktuell haben wir einen Pool von 15 Assistenzärzt:innen, davon eine 80-Prozent-Stelle, die übrigen arbeiten in Vollzeit.

Auf Station arbeiten fünf bis sechs Assistenzärzt:innen, die auch das Wochenende abdecken müssen. Durch die dadurch anfallenden Kompensationstage unter der Woche sind pro Tag zwischen vier und sechs Assistenzärzt:innen auf Station anwesend. Jede:r Assistent:in ist für sechs bis zehn Patient:innen zuständig. Wir können dabei durch unsere Oberärzt:innen und Leitenden Ärzt:innen eine gute Begleitung und Supervision anbieten.

Für den Notfall-OP haben wir einen separaten 24-Stunden-Pikettdienst.

Auf dem Notfall sind über 24 Stunden sechs Dienste in Früh-, Mittel-, Spät- und Nachtdienst zu besetzen. Da die Patient:innen interdisziplinär von den Kolleg:innen der Orthopädie/Traumatologie und uns betreut werden, stellen beide Seiten je drei Assistenzärzt:innen pro Tag. Die Nächte werden im zweiwöchigen Wechsel von der einen oder anderen Disziplin abgedeckt. Das Patientenaufkommen hat auf der Notfallstation über die Jahre spürbar zugenommen. Da wir dies statistisch belegen konnten und auch die Belastung der Assistenzärzt:innen klar sichtbar war, konnten wir hier in den letzten Jahren von gesamthaft vier auf sechs Vollzeitäquivalente aufstocken. So können wir unseren Versorgungsauftrag und die Behandlungsqualität weiterhin auf hohem Niveau halten.

Gleichzeitig müssen wir darauf achten, dass durch den Schichtdienst und die hierdurch zwangsläufig entstehenden Unterzeiten keine Verzögerungen in der Ausbildung entstehen. Ein Faktor, den wir weniger beeinflussen können, ist die Fluktuation im Patientenaufkommen, die auf dem Notfall bekanntermassen sehr gross sein kann. Ziel ist, dass jede:r Assistent:in zwischen drei und acht Patient:innen pro Schicht sieht. Gerade auf der Chirurgie wächst die Erfahrung mit der Zahl der Patientenkontakte.

Die Arbeitszeiten werden von den Assistenzärzt:innen dokumentiert, visiert und vom Chefarztsekretariat im System erfasst. Die Detailplanung erfolgt im elektronischen Personaleinsatzplaner, wonach die Zeiten durch das Sekretariat erfasst und mit dem effektiven Einsatz abgerechnet werden können. Somit können Überstunden zeitnah in den folgenden Dienstplanblock mit einbezogen werden.

Wie wird die langfristige Dienstplanung organisiert?
Neben der Monatsplanung organisiere ich auch den Jahresplan inklusive Ferien- und Fortbildungszeiten und behalte den Überblick über Stellenantritte und freiwerdende Stellen. Die Jahresplanung mit Ferien und Rotationseinteilungen erfolgen in einer separaten, übersichtlichen und für die Mitarbeitenden zugänglichen Excel-Liste. Hier wird über mehrere Jahre die gesamte Besetzung abgebildet.

Oft schaue ich mit den neuen Kolleg:innen bereits vor Stellenantritt auf die individuellen Bedürfnisse nach Ferienzeiten und Fortbildungstagen. Rotationen besprechen wir 6 bis 12 Monate im Voraus. Jede:r Assistent:in wird ein Götti zur Seite gestellt, mit dem regelmässige Gespräche zum Ausbildungsstand und individuellen Anliegen stattfinden.

Grundsätzlich erhalten die Assistenzärzt:innen Jahresverträge, wobei dies auch von assistenzärztlicher Seite im Sinne der Flexibilität gewünscht ist. Einerseits haben wir häufig Kolleg:innen im Fremdjahr, die chirurgische Erfahrungen z.B. für die Ausbildung zum Hausarzt sammeln wollen. Erfahrungsgemäss sind Fremdjahre, insbesondere mit Beschäftigung im interdisziplinären Notfallzentrum, sehr beliebt. Andererseits gehen wir gezielt auf die Kolleg:innen in Ausbildung zum chirurgischen Facharzt zu, um ihnen eine mehrjährige Ausbildung bei uns zu ermöglichen.

Neben der impliziten und expliziten Weiterbildung müssen auch externe Weiterbildungen im Ausbildungscurriculum untergebracht werden. Wie strukturiert ihr euer Weiterbildungsangebot?
Unser Ausbildungscurriculum sieht zunächst ein Jahr mit vorwiegend Stations- und Notfalldiensten vor. In dieser Zeit sollen bereits die ersten kleineren Eingriffe begleitet und erste OP-Erfahrungen gesammelt werden. Damit bieten wir uns gut als Einstiegsstelle für Kolleg:innen im ersten Berufsjahr an. Ab dem zweiten Jahr wird man stufengerecht häufiger in den OP eingeteilt. Die operativen Kerntätigkeiten werden schliesslich im fünften und sechsten Ausbildungsjahr erlernt. Erfahrene Assistenzärzte können eine stellvertretende Oberarztfunktion übernehmen, stets in Begleitung mit einem Facharzt bei operativen Eingriffen. Grundsätzlich werden Ärzt:innen in Ausbildung immer durch einen chirurgischen Facharzt begleitet.¹

Die Ausbildung der Assistenzärzt:innen wird von der Klinikleitung sehr unterstützt. Die implizite Weiterbildung können wir im täglichen Bedside-Teaching während gemeinsamen Visiten oder am Patientenbett auf dem Notfall sowie während supervidierten operativen Eingriffen gut einfliessen lassen. Dies immer in Abhängigkeit vom aktuellen Patientenaufkommen, wobei ein Minimum an Weiterbildung immer möglich ist. An expliziten Weiterbildungen gibt es montags eine Fallbesprechung mit dem Chefarzt, dienstags den Journalclub sowie das interdisziplinäre Tumorboard, donnerstags eine Facharzt-Weiterbildung und freitags die Morbiditäts&Mortalitäts-Konferenz. Gerade in der aktuellen Besetzung ist der Besuch der Veranstaltungen in der Arbeitszeit möglich und wird auch erwartet.

Was die externen Weiterbildungen betrifft, steht für uns die Sinnhaftigkeit in Bezug auf die angestrebte Ausbildung im Vordergrund. Ein:e Kolleg:in mit Ziel Facharzt Chirurgie benötigt einige klar definierte Fort- und Weiterbildungskurse wie z.B. den Strahlenschutz- oder ATLS-Kurs. Es wird erwartet, dass sich die Assistenzärzt:innen dies selbstständig organisieren. Gleichzeitig möchten wir den Besuch der Weiterbildungen gezielt fördern, indem wir die Dienstplanung entsprechend gestalten.

Immer wieder gibt es Fortbildungen, die von mehreren Kolleg:innen gleichzeitig besucht werden wollen. Z.B. wird der Fachausweis Ultraschall für verschiedene Facharzttitel benötigt. Dennoch muss die Kontinuität auf der Station gewährleistet sein. Das erfordert eine Kompromissbereitschaft innerhalb des Teams.

Was zeichnet eure Abteilung aus?
Wir können uns in Thun als mittelgrosses Spital eine gute Trennung von Notfall und Station leisten.
Nach eigener Erfahrung ist dies in kleineren Spitälern oft schwieriger, sodass bei hohem Patientenaufkommen schnelle Arbeitsplatz-Wechsel gefordert sind. Das stellt einen nicht unerheblichen Stressfaktor dar, den wir glücklicherweise weitgehend vermeiden können.

Als überregionaler Grundversorger können wir neben der Chirurgie des Häufigen auch komplexe Eingriffe anbieten und schwierige Krankheitsbilder behandeln. Unser interdisziplinäres Notfallzentrum deckt viele sich überschneidende Gebiete wie allgemeine Chirurgie, Orthopädie, HNO, Urologie und Gefäss- und Viszeralchirurgie ab. Damit können wir die jungen Kolleg:innen in einem breiten Spektrum ausbilden.

Aktuell wird in der Öffentlichkeit viel über die Umsetzbarkeit der 46-Stunden-Woche in den chirurgischen Fächern diskutiert. Wie seht ihr das bei euch?
Im Vordergrund steht für uns, dass wir unseren Versorgungsauftrag in hoher Qualität und ressourcenschonend erfüllen können. Zudem muss genug Zeit für die geforderte Weiterbildung vorhanden sein. Bei reduzierter Anwesenheit ist zwangsläufig auch das Patientenvolumen kleiner, das eine einzelne Mitarbeiter:in bewältigt. Ob der chirurgische Facharzttitel in der verkürzten Arbeitszeit zur eigenen Zufriedenheit erreicht werden kann, kann ich nicht abschliessend beantworten. Ob damit eine strukturierte Weiterbildung in der aktuellen Form in nützlicher Frist erfolgen kann, ist nicht sicher, da die geforderte Erfahrung in Patientenmanagement und operativen Eingriffen direkt mit der Anwesenheit zusammenhängt. Zusammenfassend ist eine um vier Stunden verkürzte Arbeitswoche für uns im Dienstplan technisch umsetzbar, dabei muss aber zwingend die Qualität der Behandlung und Patientensicherheit gewährleistet bleiben. Dies kann allenfalls einen Stellenausbau bedeuten und somit ein Weniger an klinischer Erfahrung sowie Einsätzen im Operationssaal für den Einzelnen. Wünschenswert wäre hier mehr Flexibilität hinsichtlich der Arbeitszeitbegrenzung je nach Arbeitsintensität und Patientenaufkommen.

Ist Teilzeitarbeit bei euch ein Thema?
Wir möchten Teilzeit möglich machen. Am einfachsten gelingt bei uns ein reduziertes Pensum mit wochenweisen Frei-Tagen. So können Informationsverluste und damit entstehende Fehler oder Doppelspurigkeiten durch häufige Übergaben reduziert werden. In unseren Stellenausschreibungen bieten wir ein Pensum von 80-100 Prozent an, wobei auch ein 50-Prozent-Pensum, z.B. im ambulanten Notfallbetrieb, möglich wäre. Ein Tageweise reduziertes Pensum ist jedoch für den stationären Betrieb nicht geeignet. Bislang war die Nachfrage hierfür eher gering. Es ist sicher so, dass sich die chirurgische Facharztausbildung dadurch deutlich in die Länge zieht und das von vielen nicht gewünscht ist.

Betreffen euch die aktuellen Spitalschliessungen?
Bislang haben wir in den Sprechstunden oder auf Station eine merkbare Zunahme des Patientenaufkommens festgestellt, das jedoch aus eigener Sicht nicht direkt mit Spitalschliessungen in Zusammenhang gebracht werden konnte. Da unsere Bettenbelegung oft gut ausgelastet ist, haben wir hier sicher schon jetzt einen begrenzten Spielraum.

Das Interview wurde am 07.11.2023 geführt von Nora Höger, Kommunikationsverantwortliche VSAO Bern.

¹Anm. d. Red: Die Chirurgische Klinik im Spital Thun besitzt als Weiterbildungsstätte die Kategorie A für Chirurgie. Für den chirurgischen Facharzt sind zudem zwei Jahre Ausbildung an einem B- oder C-Spital gefordert.

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