Gute Teamarbeit ist planbar

Zu den Grundlagen der Dienstplanung gehören ohne Frage die Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes, ausreichende Ferien- und Fortbildungszeiten sowie eine faire Einteilung gemäss Ausbildungscurriculum. Ganz wesentlich bestimmt die Dienstplangestaltung aber auch die Zusammensetzung der Personen, die an einem Ort zusammenarbeiten (müssen). Sie hat somit eine nicht unerhebliche Bedeutung für eine positiv erlebte und zielführende ärztliche Tätigkeit. Wir haben uns mit dem Teambegriff im Hinblick auf den Spitalalltag und Bezug auf die veröffentlichten Interviews kritisch auseinandergesetzt.

30.11.2023

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Die Patientenversorgung im Spital ist traditionell stark nach Professionen und Fachdisziplinen organisiert und hierarchisch geprägt. Es existieren Hierarchien in drei Bereichen: Verwaltung, Pflege und ärztlicher Dienst.

Dabei ist in der modernen Patientenversorgung Teamarbeit ein zentrales Qualitätsmerkmal. Die Dienstplanung spielt hier eine entscheidende Rolle, bestimmt der Dienstplan doch die Personen, die zusammenarbeiten (müssen). Die Dienstplangestaltung hat somit eine nicht unerhebliche Bedeutung für eine positiv erlebte und zielführende ärztliche Tätigkeit.

Im Folgenden möchten wir uns mit dem Teambegriff im Hinblick auf den Spitalalltag kritisch auseinandersetzen. Dabei werden wir Bezug auf die veröffentlichten Interviews nehmen.

Der Teambegriff folgt keiner einheitlichen Definition. Im weitesten Sinne versteht man darunter einen Zusammenschluss von mehreren Personen zur Lösung einer bestimmten Aufgabe oder zur Erreichung eines bestimmten Ziels (für einen kurzen Übersichtsartikel vgl. Ansmann & Pfaff¹). Es ist wichtig zu bedenken, dass ein Team nicht allein dadurch entsteht, dass Personen als Mitglieder festgelegt werden. Auch die oft beobachtete Neigung, vor allem hohe Flexibilität in Bezug auf Zeit und Personal als gleichbedeutend mit Teamfähigkeit zu verstehen, kann in Frage gestellt werden.

In der Theorie der Teamentwicklung von Tuckman und Jensen² ³ orientieren wir uns an fünf klar definierten Entwicklungsphasen, die für eine effektive Teamarbeit notwendig sind:

  • In der Orientierungsphase (Forming) geht es um ein gegenseitiges Kennenlernen und die Entwicklung von Regeln und Grenzen. Voraussetzung ist eine externe Leitung (z.B. Spital, Klinikleitung), die eine Agenda und gewisse Grundregeln vorgibt.
  • In der Konfliktphase (Storming) werden die gemeinsamen Ziele verhandelt. Individuelle Zielkonflikte können zu Streit und persönlichen Aversionen führen. Entscheidend sind hier eine offene Grundhaltung und ein respektvoller Umgang miteinander für eine gute Konfliktlösungsstrategie.
  • In der Kohäsionsphase (Norming) werden Verantwortungsbereiche zugewiesen, gemeinsame Verhaltensregeln und eine gemeinsame Arbeitsweise festgelegt. Es entstehen Zusammengehörigkeitsgefühl und kollegiale Beziehungen.
  • In der Leistungsphase (Performing) richten die Mitglieder ihre Energie auf die Ausführung der zugewiesenen Aufgabenbereiche zur Erreichung der Teamziele.
  • In der Auflösungsphase (Adjourning) reflektiert das Team die gemeinsame Zeit und Leistung, bevor die Einzelnen neue Wege gehen.

In den seltensten Fällen gelingt es im Spitalalltag, diese Phasen bewusst zu durchlaufen. Zum einen ist hierfür in aller Regel keine Zeit vorgesehen, zum anderen sind Kompetenzen und hierarchische Strukturen oft bereits vorgegeben. Umso mehr liegt es in der Verantwortung jede:r Einzelnen, sich der Dynamik in einer extern festgelegten Arbeitsgemeinschaft immer wieder bewusst zu werden und diese zu hinterfragen.

Welche Aspekte der Teamarbeit spielen für die Dienstplanenden der hier veröffentlichten Interviews eine Rolle?

Wie wir bei Thomas Horvath, Oberarzt auf der Neurologie am Inselspital, lesen können, entstehen durch den zunehmenden Spardruck und Fachkräftemangel immer wieder Leerstellen, die schnelle Teamwechsel und ein Arbeiten in Unterbesetzung unumgänglich machen. Das erfordert, sich rasch in einer neuen Arbeitsgemeinschaft einzufinden. Gleichzeitig werden bestehende Arbeitsgemeinschaften gesprengt und thematische Inhalte akut unterbrochen, oft ohne Möglichkeit für einen gemeinsamen Abschluss oder mittelfristige Fortsetzung. Schliesslich verlangt ein Arbeiten in Unterbesetzung von allen Beteiligten ein zusätzliches Mass an Disziplin und Stresstoleranz. Hieraus kann im günstigsten Fall ein verstärktes Gemeinschaftsgefühl und Erfolgserlebnis entstehen, allerdings nur unter der Voraussetzung einer fairen Arbeitsteilung und wertschätzenden Kommunikation, insbesondere seitens der leitenden Instanzen.

Auf einer Notfallstation, wie im Interview mit Susanne Nüesch, Oberärztin auf dem Insel-Notfall, zu lesen, ist die Herausforderung bereits systemimmanent. Durch den Schichtbetrieb kommt es zwangsläufig zu einer Herauslösung aus dem sozialen Kontext. Hinzu kommen häufige Wechsel in der Teamzusammensetzung, z.B. aufgrund von Teilzeitarbeit oder Rotationen in andere Kliniken. Umso wichtiger ist in einer solchen Konstellation, dass äussere Orientierungspunkte wie Kommunikationsabläufe, medizinische SOPs⁴ und Entscheidungshierarchien klar definiert und von allen akzeptiert sind. Gleichzeitig bewähren sich regelmässige gemeinsame Gespräche, in denen Anpassungsvorschläge eingebracht werden können.

Für Noëmi Allemann als Dienstplanberaterin ist der Blick von aussen entscheidend. Hier liegt die Kunst darin, Teamstrukturen rasch zu erkennen und in ihrer Bedeutung zu erfassen. Es gilt, gemeinsam mit dem Team sowohl Stärken als auch Schwächen im bereits Vorhandenen herauszuarbeiten und anschliessend zu Bewahrendes wie auch mögliche Alternativen aufzuzeigen. Voraussetzungen hierfür sind gegenseitiger Respekt und Vertrauen der Teammitglieder zueinander sowie eine Offenheit, bestehende Strukturen kritisch zu betrachten und Neues zu versuchen.

Christof Stirnimann, Leitender Arzt auf der Akutgeriatrie am Tiefenau Spital, hat miterlebt, welche Dynamik sich im Hinblick auf die aktuelle Spitalschliessung entwickeln kann. Ganz entscheidend wurde die Reaktion der Mitarbeitenden durch die Art der Kommunikation auf Führungsebene geprägt. Anschliessend bleibt die Herausforderung, vor dem Hintergrund der individuellen Berufsaussichten, zunehmend kurzfristiger Abgänge und erschwerter Planbarkeit als Team weiter zu bestehen. Im gemeinsamen Bewusstsein darum kann sich neuer Handlungsspielraum ergeben.

Am Beispiel des Spitals Frutigen zeigen sich die Besonderheiten in einem kleinen, interdisziplinär geführten Team. Extremsituationen wie arbeitsintensive Dienste, kurzfristige Personalengpässe oder medizinische Notfälle betreffen jeden Einzelnen viel direkter als in einem grösseren Team, wo dies auf mehr Kollegen verteilt werden kann. Wie von Silvio Gujer, Chefarzt Chirurgie betont, kann dies nur im gegenseitigen Vertrauen und Kenntnis der eigenen Grenzen gelingen. Zudem braucht es für alle ausreichend geistige wie auch körperliche Erholungszeiten. Auch die Dienstplangestaltung durch die Assistenzärzt:innen erfordert von allen Beteiligten ein grosses Mass an Vertrauen, Offenheit für die Sicht des Gegenübers und insbesondere Mut zum partizipativen Führungsstil. Dies schafft persönliche Verbundenheit und gegenseitiges Wohlwollen.

Eine alternative Version der Dienstplanung in einem kleinen Spital lesen wir bei Franz Fäh, Chefarzt der Geriatrischen Rehabilitationsklinik in Belp. Hier ist der Dienstplan „Chefsache“. Dies unter der Prämisse, dass gerade in einem kleinen Team mit häufigen personellen Wechseln durch die Chefärzt:in Kontinuität und Erfahrung gewährleistet werden kann. Erfahrung nicht nur betreffs der optimalen Zeiteinteilung, sondern vielmehr hinsichtlich der optimalen Personenzusammensetzung, was individuelle Charaktereigenschaften, Fachkompetenzen und Interessenslagen angeht. Dies kann nur mit der nötigen Ehrlichkeit und (Selbst)Kritik gelingen. Nur am Rande erwähnt sei hier die Arbeit in einem interprofessionellen Team, wie sie insbesondere in der Geriatrie gefragt ist.

Auch Sebastian Winterhalder, Chirurgischer Oberarzt am Spital Thun, steht immer wieder vor der Herausforderung, die Assistenzärzt:innen fair und transparent gemäss ihrem Ausbildungsstand und ihren medizinischen Fähigkeiten einzuteilen. Insbesondere in den chirurgischen Fächern ist es an den Vorgesetzten, Raum für individuelles Engagement und berufliche Hingabe zu schaffen. Zudem entsteht durch die Atmosphäre im Operationssaal mit einerseits notwendigen Entscheidungsbefugnissen und klaren Abläufen und andererseits Anerkennen von Erfahrungshierarchien eine ganz eigene Art von Teamarbeit.

Zu den Grundvoraussetzungen für eine funktionierende Teamarbeit gehören also ein Zugehörigkeitsgefühl und gemeinsames Arbeitsverständnis mit klarer Zielsetzung (z.B. optimale Patientenversorgung unter Einhaltung der vorgeschriebenen Arbeitszeit und mit Gewährleistung der nötigen Weiterbildung), ein respektvoller Umgang miteinander und die Akzeptanz der jeweiligen Rolle, transparente Kommunikationswege und Informationsaustausch sowie ein wertschätzendes Führungsverhalten mit Raum für aktive Teilhabe und konstruktive Kritik. Damit ein solches Zusammenspiel überhaupt entstehen kann, braucht es von allen Beteiligten ein Bewusstsein für und eine aktive Gestaltung der oben genannten Phasen der Teamentwicklung. Im Spitalalltag kann dies z.B. durch kurze, aber regelmässige Austauschplattformen, Morgenfortbildungen oder moderierte Teamfortbildungen gefördert werden. Eine als positiv und effizient erlebte Teamarbeit trägt massgeblich zur Qualität der Arbeitsbedingungen bei.

Ein Essay von Nora Höger, Kommunikationsbeauftragte des VSAO Bern.

¹ Ansmann, L., & Pfaff, H. (2020). 3.3. 4. Der Arzt als Mitglied eines Teams. 2020.
² Tuckman, B. W. Development sequence in small groups. Psychological Bulletin, 1965, 63(6), 384-399.

³ Tuckman BW, Jensen MAC. Stages of small-group development revisited. Group and Organization Studies 1977;2(4):41 9–27.
SOPs = Standard Operating Procedures.

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