Interview mit Christof Stirnimann

Die Aufgaben eine:r Ärzt:in erstrecken sich inzwischen weit über die rein medizinische Patientenversorgung hinaus. Mit aufsteigender Position wachsen die Ansprüche an ein kompetentes Klinik-Management, die Kommunikation mit den Mitarbeitenden und die ärztliche Vorbildfunktion. Aber sind die Strukturen in unseren Spitälern überhaupt darauf ausgelegt, Ärzt:innen zu guten Führungskräften auszubilden? Und was hat das überhaupt mit der Dienstplanung zu tun? Darüber haben wir vor dem Hintergrund der bevorstehenden Spitalschliessungen mit Christof Stirnimann, Leitendem Arzt auf der Akut-Geriatrie am Tiefenau Spital, gesprochen.

16.11.2023

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Christof, wie bist du zu deiner Position als Leitender Arzt und Dienstplaner gekommen?
Zum Zeitpunkt meines Stellenwechsels war bezüglich meiner neuen Stelle ein gewisser Reorganisationsstau hinsichtlich der internen Strukturen spürbar. Aus meinen bisherigen Tätigkeiten brachte ich einiges an Führungs- und Organisationserfahrung mit, weswegen ich diese Punkte gleich zu Beginn in Angriff nahm. Es war jedoch nicht absehbar, welche tiefgreifenden Veränderungen in der Inselgruppe bevorstehen würden.
Mein Vorgänger war zu einem relevanten Anteil mit bürokratischen Aufgaben beschäftigt, die eine kompetente Sachbearbeiterin durchaus auch hätte erledigen können. Aus verschiedenen Gründen wurden jedoch immer mehr administrative Aufgaben an das ärztliche Kaderpersonal delegiert, was sich schliesslich kritisch auf die Mitarbeiterzufriedenheit auswirkte.
Nach anfänglicher Skepsis konnten wir nachhaltig gute Lösungen finden und haben inzwischen einige Aufgaben entsprechend den Zuständigkeitsbereichen an unsere administrativen Mitarbeitenden abgegeben. So bleibt mehr Zeit für die klinische Arbeit und die Ausbildung der Assistenzärzt:innen.

Wo siehst du Schlüsselmomente in der Dienstplanung?
Einer der wichtigsten Faktoren für die langfristige Jobadhärenz ist eine gute Einführung. Man muss sich erwartet und willkommen fühlen. Das beginnt beim Namensschild an der Bürotür. Technische Dinge wie Passwort und E-Mailadresse, Telefon etc. müssen bei Stellenantritt einfach funktionieren. Dann folgt eine Einarbeitung gemäss persönlichem Einarbeitungsprogramm mit klaren Zuständigkeiten. Zur Einarbeitung gehört bei uns auch, gegenseitige Erwartungen hinsichtlich der Planungsmöglichkeiten zu klären.
Als sehr wichtige Punkte in der Dienstplanung erachte ich die Kontinuität der Patientenbetreuung. Häufige Wechsel des Personals am Patientenbett sind weder für die Qualität der Behandlung noch für die interprofessionelle Zusammenarbeit gut.
Somit erachte ich, neben der Einplanung gemäss Fachkompetenz, die Berücksichtigung der Abwesenheitswünsche und die Kontinuität der Patientenbetreuung als relevante Schlüsselmomente in der Dienstplanung.

Wie sieht die konkrete Dienstplanung bei euch aus?
Die Dienstplanung in der Akutgeriatrie obliegt grösstenteils mir. Ich plane für fünf Assistent:innen, drei Oberärzt:innen und zwei Leitende Ärzte (teilweise Teilzeit). Wir betreuen 30 bis 40 akutgeriatrische Betten.
Zunächst muss klar sein, welche Mitarbeitenden wann und an welchem Standort zur Verfügung stehen (Ferien, Weiterbildung etc.). Das tönt einfach, gestaltet sich aber gelegentlich herausfordernd. Teilweise kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der mentale Sprung vom Studium ins Arbeitsleben erst noch vollzogen werden muss.
Die provisorischen Pläne werden so weit wie möglich im Voraus kommuniziert. Die definitive Planung ist eine Art Moving Target. Gerade in kleinen Teams führen Ausfälle oder Personalverschiebungen rasch zu Änderungen im Dienstplan. Es kann vorkommen, dass jemand – unter Berücksichtigung der Ruhezeiten – aus der Kompensation zurückgeholt werden muss.¹
Eine weitere Herausforderung sind die automatisch kumulierenden Pausenkompensationen² gemäss GAV. Hier sammeln sich pro Mitarbeiter:in pro Jahr mehrere Wochen Kompensationsgutschrift an, was im Stellenetat nicht immer adäquat berücksichtigt ist.
Insgesamt versuchen wir, wo immer möglich, das AZG einzuhalten. Je kleiner das Team, desto grösser ist jedoch diese Herausforderung.

Wie verstehst du deine Rolle in der Weiterbildung?
Viele Berufsanfänger:innen erachten die Geriatrie als einfaches Fach zum Berufseinstieg. Die Realität ist zumindest auf der Akutgeriatrie oft eine ganz andere. Die fachlichen Anforderungen bei unseren Patient:innen erstrecken sich über die gesamte Innere Medizin und darüber hinaus. Das ist sehr spannend, bleibt aber auch für fortgeschrittene Kolleg:innen herausfordernd. Hier müssen wir an einer verbesserten Kommunikation arbeiten, um die Vorteile unserer Weiterbildungsstellen bekannter zu machen.
Wir bieten ein systematisches Curriculum in Allgemeiner Innerer Medizin und Geriatrie an und unterstützen unsere Assistent:innen intensiv auf dem Ausbildungsweg. Unter anderem sollen sie ein Lern-Tagebuch führen. Das mag verschult klingen, findet aber guten Anklang. Neben den Grundlagen des Ultraschalls supervidieren wir Abdomen- und POCUS³-Untersuchungen. Von den jungen Kolleg:innen erwarten wir eine aktive Mitarbeit und Mitdenken, was im überschaubaren Team gut gelingt. Diese Erwartungen klären wir schon im Vorstellungsgespräch.
Eine Schwierigkeit bei uns Ärzt:innen liegt in unserer Sozialisierung. Während der Ausbildung lernen wir, wie man Wissen speichert und wiedergibt. Dieses Wissen effizient und zielgerichtet anzuwenden und seine Entscheide immer wieder zu hinterfragen, will aber gelernt sein. Gerade bei Kolleg:innen ohne Berufserfahrung braucht es daher eine gute Begleitung.
Themen wie Gesundheits- oder Standespolitik, Prozessoptimierung, Effizienzsteigerung, Führung etc. werden oft als ärztlich „unchic“ betrachtet, gehören aber mit zunehmender Berufserfahrung zu unserem Alltag. Auch hier versuchen wir, die jungen Kolleg:innen zu fördern.

Wie seid ihr auf der Geriatrie von der bevorstehenden Spitalschliessung betroffen?
Viele Mitarbeitende im Spital haben über die Medien, von Patient:innen oder von Angehörigen von den Schliessungen erfahren, noch bevor an der Mitarbeiterinformation offiziell informiert wurde.
Diese Art und Weise der Kommunikation der Schliessungen wurde von vielen schlecht aufgenommen und war dem Vertrauen nicht zuträglich.
In der täglichen Arbeit hat sich die Stimmung inzwischen wieder beruhigt. Wie in solchen Situationen üblich, ist aber teilweise weiterhin eine gewisse Unsicherheit und Frustration spürbar.
Für die Geriatrie war von Beginn an klar, dass wir nach Möglichkeit als Ganzes auf den Inselcampus umziehen. Auch die ärztlichen Weiterbildungsstellen im Fachbereich Geriatrie werden erhalten bleiben.
Auf dem Inselcampus ist eine akutgeriatrische Bettenstation mit 35 bis 40 Betten vorgesehen. Wie vielerorts ist aktuell der Umfang der verfügbaren Pflegekräfte limitierend. Wenn gesuchte Fachkräfte aus logistischen Gründen abspringen, zum Beispielweil am neuen Arbeitsort kein Parkplatz mehr zur Verfügung steht, ist dies natürlich besonders bedauerlich. Insgesamt sind wir aber optimistisch, dass wir das akutgeriatrische Angebot am neuen Standort gut weiterführen und entwickeln können. Stand heute scheint es, dass wir auch künftig mit einem Grossteil des gut eingespielten, interprofessionellen Teams weiterarbeiten können.

Welche speziellen Herausforderungen siehst du in der jetzigen Situation?
Die Nachfrage nach geriatrischen Behandlungsplätzen wird mit Blick auf die demografische Entwicklung massiv steigen. Gleichzeitig nimmt der Kostendruck zu.
Im Berufsalltag wird weiterhin die Personalsituation eine der grössten Herausforderungen bleiben.
Auf Unternehmensebene erachte ich die zunehmende Bürokratisierung, gekoppelt mit einer Verantwortungsdiffusion, als ein zunehmendes Problem. Die Entkoppelung von Aufgaben, Kompetenz und Verantwortung (AKV) kann insbesondere auf Führungsebene zu Resignation und Stillstand führen. Ein partizipativer Führungsstil sowie kongruente AKV-Bereiche wären aus meiner Sicht wichtige Ansatzpunkte. Wer entscheiden muss, sollte mit entsprechenden Kompetenzen ausgestattet sein und eine adäquate Wertschätzung für die Verantwortung erfahren.
Gleichzeitig qualifiziert eine akademische Karriere nicht selbstredend für die kompetente Ausübung von Strategie-, Führungs- und Managementaufgaben. In anderen Ländern bzw. Universitätskliniken der Schweiz hat man diese Situation längst erkannt. Hier braucht es meines Erachtens ein Umdenken im System.

Das Interview wurde am 29.08.2023 geführt von Nora Höger, Kommunikationsverantwortliche VSAO Bern.

¹ Anm. der Red.: Gesetzlich ist dies mit einer Vorlaufzeit von mindestens 48 Stunden möglich.
² Anm. der Red.: Gemäss GAV stehen den Mitarbeitenden bei einer geplanten Arbeitszeit von über 9 Stunden 30 Minuten bezahlte Mittagspause zu. Diese werden je nach Budget und interner Regelung von den Abteilungen ausbezahlt oder als Zeitgutschrift verrechnet.
³ Anm. d. Red.: Der Fähigkeitsausweis (FA) POCUS regelt die Weiter- und Fortbildung für den Point Of Care Ultraschall.

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