«Für Schwangere brachte Corona sehr viele Unsicherheiten»

Wir sprachen mit einer Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe an einem Schweizer Zentrumsspital. Was sie schwangeren Frauen in Bezug auf die Impfung rät und wie sie selbst als schwangere Ärztin die Pandemie erlebt, erfahren Sie in diesem Beitrag.

06.07.2021

Eveline Tissot

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Sie sind Gynäkologin. Wie stark sind schwangere Frauen von der Pandemie betroffen?

Gerade bei den Schwangeren hat die Pandemie viele Unsicherheiten ausgelöst – und in der ersten Zeit fehlte uns das Wissen, um die vielen Fragen beantworten zu können. Es ging zum Beispiel um Themen wie: Bieten Masken genügend Schutz? Wie gefährlich ist Corona für mein Kind? Unter welchen Bedingungen ist Arbeit während der Pandemie für eine schwangere Frau zumutbar? Lange gab es keine offiziellen Stellungnahmen der Behörden, wie man die Arbeitssituation von schwangeren Frauen beurteilen sollte. Wir wollten nicht jede Schwangere krankschreiben, aber wir waren auch nicht sicher, welche Arbeiten ohne Risiko möglich waren. Bis heute sind längst nicht alle Fragen geklärt.

Schwangere Frauen können sich nun impfen lassen. Hat sich damit ihre Situation entspannt?

Es bestehen weiterhin viele Unsicherheiten und Fragen. Aktuell kommen sehr viele Frauen in die Sprechstunde, um ihre Sorgen und Fragen im Zusammenhang mit der Impfung zu klären. Dass sich viele Mitarbeitende des Gesundheitswesens nicht impfen lassen, schürt leider viele Ängste.

Was raten Sie einer schwangeren Frau, die Bedenken wegen der Impfung hat?

Ich bin gerade selbst schwanger und lasse mich impfen. Dafür gibt es verschiedene Gründe: Während einer Schwangerschaft ist das Immunsystem etwas reduziert. Frauen können sich in dieser Zeit leichter anstecken und das Risiko eines schweren Verlaufs der Infektion ist erhöht. Es gibt zwar eine Immunreaktion auf die Impfung – auch eine Schwangere kann also Schmerzen oder Fieber entwickeln – aber diese Reaktion ist normal und erwünscht. Sie ist viel dosierter und planbarer, als wenn man die eigentliche Covid-Infektion durchstehen müsste. Allerdings sollte unter anderem aufgrund der Immunreaktion auf eine Impfung im ersten Schwangerschaftsdrittel verzichtet werden.

Worauf achten Sie als Schwangere in Ihrem Arbeitsalltag?

Je weiter die Schwangerschaft fortschreitet, desto höher ist das Risiko für einen schweren Verlauf der Infektion. Noch bin ich nicht in der risikoreichen Phase. Ich achte darauf, dass die Patientinnen ihre Maske richtig tragen und sorge wie immer für korrekte Händehygiene. Um Patientinnen mit Fieber oder anderen Covid-Symptomen kümmern sich Kolleg:innen. Ansonsten arbeite ich normal weiter. Für Kolleginnen, die letztes Jahr schwanger waren, war es aufgrund der vielen Unklarheiten schwieriger. Eine Schwangere aus unserem Team war für den Dienst im Gebärsaal eingeteilt. Gebärende können während der Pressphase viele Aerosole ausstossen, die Kollegin wäre also einem erhöhten Risiko ausgesetzt gewesen. Sie hat den Dienst verweigert und musste für Schutzmassnahmen kämpfen.

Haben Sie viele COVID-Fälle während Schwangerschaften behandelt?

Wir hatten fünf schwere Coronafälle bei Schwangeren. In anderen, spezialisierten Spitälern, waren es mehr. Schwangere Frauen sind bei uns in der Regel selten so schwer krank, dass sie auf der Intensivstation behandelt werden müssen. Ausserhalb der Pandemie waren es vielleicht zwölf Frauen pro Jahr.

Wie muss man sich einen schweren Verlauf einer COVID-19 Infektion bei einer Schwangeren vorstellen?

Das Risiko einer sonst gesunden Schwangeren entspricht dem Risiko eines sechzigjährigen Mannes. Typischerweise treten schwere Verläufe einer Covid-Infektion zu Beginn des dritten Schwangerschaftsdrittels auf. Von Covid Betroffene haben Atemnot und erhalten Sauerstoff über eine Maske. Damit es für das Kind nicht gefährlich wird, sollte die Sauerstoffsättigung bei 94 Prozent liegen. In schweren Fällen wird dieser Wert mit der Maske manchmal nicht erreicht, dann kann eine Intubation notwendig werden – und in der Regel somit die Entbindung per Kaiserschnitt, denn schwangere Frauen können wir nicht auf dem Bauch lagern. Die Überlebenschancen des Kindes sind bei einem Kaiserschnitt zu diesem Zeitpunkt zwar gut, es bestehen trotzdem viele gesundheitliche Risiken, teilweise bis zur Schädigung von Gehirnzellen beim Kind, ausgelöst durch die Entzündungsreaktion der Mutter.

Wie hat sich Ihr Arbeitsalltag im vergangenen Jahr verändert?

Meine Arbeit hat sich kaum verändert, da sich Geburtshilfe und Schwangerschaftskontrollen nicht verschieben lassen – nicht dringende Untersuchungen und Interventionen mussten allerdings während des ersten Lockdowns warten. Bei einigen Kolleg:innen und bei mir wurde dadurch die Weiterbildung, zum Beispiel in Spezialsprechstunden, pausiert. Einige Kolleg:innen wurden ausserdem anders eingesetzt als geplant – zum Beispiel im „Corona-Abstrichdienst“.

Wie überall in der Medizin führten wir Rapporte nur noch virtuell durch. Auch das gemeinsame Mittagessen war nicht mehr möglich. Deshalb freue ich mich sehr darauf, wieder mehr Zeit und Gelegenheit für den Austausch mit Kolleg:innen und Vorgesetzten zu haben!

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