Die Impfung wird die dritte Welle nicht verhindern

Was genau bedeutet Long Covid? Wie lange werden uns noch Masken im Alltag begleiten? Und warum werden Lungenärzte eigentlich so selten interviewt? Antworten darauf gibt’s im Interview mit einer Pneumologin.

08.04.2021

Barbara Schwede

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Wie ist aktuell die Situation in deinem beruflichen Umfeld?

Die Situation in den Praxen und Spitälern hat sich eingespielt. Die Anzahl stationärer Covidpatienten ist zurückgegangen und die extremen Hygienemassnahmen, die man bei ihnen anwendet, haben alle Mitarbeitenden sicher im Griff. Wir sind bereit für die dritte Welle, die sicher kommen wird. Der Anteil der Fälle mit mutierten Varianten steigt an und die Bevölkerung ist massnahmen-müde. Dass die Leute immer weniger bereit sind, auf bestimmte Dinge zu verzichten und die Regeln einzuhalten, unterstützt den Anstieg der Fallzahlen natürlich auch.

Werden wir uns längerfristig an Maske, Abstandsregelungen und die Verwendung von Desinfektionsmitteln gewöhnen müssen? Oder ist ein Ende in Sicht?

Die Impfung wird eine starke Verbesserung bringen – damit können wir das Virus in Schach halten, damit Läden und Restaurants wieder geöffnet sein können und wir zum Normalmodus zurückkehren können.

Grundsätzlich ist das Mutationsrisiko aber weiterhin gross, weil das Virus sich so schnell verbreitet. Daher ist davon auszugehen, dass es weitere Mutationen geben wird. Das Tragen von Masken wird uns wohl noch sehr lange begleiten – viele Menschen werden das auch freiwillig tun, weil sie sich daran gewöhnt haben und sie sich mit Maske sicherer fühlen.

Auch die regelmässige Desinfektion der Hände wird in unserem Alltag erhalten bleiben, was ja durchaus wünschenswert ist.

Was wissen wir heute über Long Covid?

Zu Long Covid liegen uns bisher ausgesprochen wenig Daten und Informationen vor. Zu mir kommen viele Menschen, die auch Monate nach einer Infektion noch an starkem Husten, Atemnot oder Kraftlosigkeit leiden. Und zwar nicht die typischen Lungenpatienten, sondern viele junge, sonst gesunde Menschen. In den Lungenfunktionstests findet man nichts Fassbares. In manchen Fällen dauert es lange, bis diese Infektion wieder ganz ausgeheilt ist. Und Betroffene brauchen vor allem viel Geduld.

Muss man dann einfach abwarten?

Gegen den Husten hilft in einigen Fällen das Inhalieren von Asthmamedikamenten, damit kann man die Entzündung behandeln. Alle Viren können ein vorhandenes Asthma wieder zum Ausbruch bringen, selbst wenn man das in der frühen Kindheit hatte. Ansonsten kann man nicht viel machen – trotzdem sollte man sich nicht komplett schonen, sondern sich durchaus bewegen, denn das tut dem Körper und auch der Psyche gut.

Viele machen sich grosse Sorgen, die Schäden könnten bleiben. Sie sind dann meist sehr beruhigt, wenn ich ihnen sagen kann, dass die Lungenfunktion normal ist und die Beschwerden wieder abklingen werden. Die grosse Verunsicherung rund um Covid verschlimmert die Beschwerden. Generell kennen wir wohl alle dieses Phänomen: Sobald man weiss, dass Krankheitssymptome nicht Schlimmes bedeuten, geht es einem besser. Das ist ja bei allen Beschwerden so.

Was passiert denn bei Long Covid im Körper?

Das wissen wir aktuell noch nicht genau und auch nicht, warum es manche Menschen trifft und andere nicht. Darüber, was bei schweren Verläufen passiert, wissen wir mehr: Da liegt eine starke Entzündung vor und die führt in vielen Fällen zu Vernarbungen auf der Lunge – die gehen nie mehr ganz weg. Viele Patienten, die wegen Covid auf der Intensivstation waren, werden ihr ganzes Leben lang mit den Folgen leben müssen. Daher rechnen wir damit, dass es in Zukunft mehr chronisch kranke Lungenpatientinnen und -patienten geben wird – auch jüngere, als man bisher gewohnt war.

Was lernt ihr von Covid für andere Lungenkrankheiten? Macht die Forschung einen Schub?

Im letzten Jahr hat sich die Forschung komplett auf Covid konzentriert und es ist erstaunlich, wie viele Daten in dieser Zeit gesammelt werden konnten. Daher wurde kaum noch Forschung zu anderen Lungenkrankheiten betrieben. Spannend wird sein, wie die Langzeitdaten aussehen und was die Forschung über die Langzeitfolgen herausfinden wird.

Viele Menschen gehen seit der Pandemie aus Angst vor Infektionen seltener zum Arzt als früher. Führt das zu weiteren Problemen in eurem Fachgebiet?

Menschen mit schweren Lungenkrankheiten sind Risikopatienten. Sie kommen nun seltener in die Sprechstunden und sind daher auch schlechter eingestellt. Auch beim Lungenkrebs gibt es zusätzliche Probleme: Lungenkrebs ist sowieso schon schwierig zu entdecken. Heute kommen die Leuten mit Beschwerden noch später – die Prognosen fallen daher aktuell schlechter aus als früher.

Patientinnen werden nach der Intensivstation auf die Pneumologie verlegt. Wie muss man sich ihren Gesundheitszustand vorstellen?

Wenn Covid-Patienten zu uns kommen, waren sie oft schon zwei oder drei Wochen schwerkrank im Spital. Sie haben die ganze Zeit im Bett verbracht. Das heisst, ihre Muskeln haben massiv abgebaut, sie haben häufig noch Schmerzen und sehr wenig Kraft. Selbst duschen ist für die meisten gar nicht oder nur mit sehr grosser Anstrengung möglich. Die meisten bekommen noch Sauerstoff über eine Nasenbrille oder über ein spezielles Beatmungsgerät. Das versuchen wir dann zu reduzieren. Weil die Patientinnen und Patienten auf der Intensivstation normalerweise im künstlichen Koma sind und nicht bei Bewusstsein, beginnt dann in der Pneumologie die Auseinandersetzung damit, dass sie schwer krank sind und es wohl noch lange bleiben werden. Nach etwa einer Woche oder zehn Tagen bei uns gehen sie für etwa drei Wochen in die Reha, wo das Bewegungstraining weitergeht, um wieder Muskeln aufzubauen.

Sind vor allem Menschen betroffen, die vorher schon lungenkrank waren?

Das kann man so nicht sagen – die Betroffenen sind wirklich sehr divers. Zu Beginn waren wir erstaunt, dass unsere üblichen Patienten kaum an Covid erkrankten. Wir gehen davon aus, dass ihnen ihr Risiko sehr früh klar war und sie sich von Anfang an konsequent geschützt haben.

Corona ist vorwiegend eine Lungenkrankheit. Wieso werden Pneumologinnen von den Medien so selten interviewt?

Das ist eine gute Frage. Wahrscheinlich interessiert sich die Öffentlichkeit vor allem für die schnelle Verbreitung, weil das neu ist und alle betrifft. All die Hochrechnungen, wie sich das Virus überträgt, was man gegen die Übertragung tun kann – das sind nicht primär Themen der Pneumologie, sondern der Virologie. Ich werde im Bekanntenkreis hingegen viel nach der Impfung gefragt – ob man sich jetzt impfen soll oder lieber noch abwarten. Die Schnelligkeit der Entwicklung der Impfstoffe verunsichert viele Menschen. Ich rate aber auf alle Fälle zu einer sofortigen Impfung. Alle vorliegenden Daten belegen, dass die Impfstoffe sehr sicher sind und guten Schutz bieten.

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