Warum die Familienzeit-Initiative eine gute Sache ist

Mittlerweile machen Frauen 60 Prozent der Absolvent:innen des Medizinstudiums aus. Assistenzärztinnen sind ebenfalls mit etwas mehr als 58 Prozent gegenüber ihren männlichen Kollegen übervertreten. Allerdings steigt jede zehnte Ärzt:in nach wenigen Jahren aus dem Beruf aus. Und hier liegt die Krux: Frauen tun dies deutlich häufiger als Männer. Als einen wichtigen Grund hierfür geben sie die Unvereinbarkeit mit der Betreuung ihrer Kinder an. Da wir aber in Zeiten des Fachkräftemangels gerade auch im Gesundheitswesen auf Frauen in der Medizin nicht verzichten können, müssen wir dieses Problem gesamtgesellschaftlich angehen.

Es gibt gerade einmal rund 12 Prozent Chefärztinnen. In der Arbeitswelt werden nach wie vor eher Männer für Führungspositionen gewählt, weil sie nicht schwanger werden können. Natürlich ist das nicht der einzige Grund für die Untervertretung von Ärztinnen in Führungspositionen. Aber wir wissen auch: Weibliche Rollenbilder sind wichtig, weil sie andere Frauen ermutigen, es ihnen nachzutun. Hätte die Familienzeit-Initiative Erfolg und bekämen Väter gleich viel Elternzeit wie Mütter und nutzten sie auch, würde sich die Schwangerschaftsfrage erledigen. Denn hypothetisch könnten Männer ab sofort genauso fehlen – Frauen dafür seltener. Hier kannst du die Initiative unterschreiben.

Kommen wir also zu den Kernthemen Gleichstellung und Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern: Mehr Elternzeit für Männer würde die Mütter entlasten, wodurch sie der Arbeitswelt länger erhalten blieben. Da sie theoretisch zuhause weniger Care-Arbeit leisten müssten, könnten sie stärker ihrem Beruf nachgehen. Dies wiederum würde sich positiv auf ihre finanzielle Freiheit auswirken und würde zum Abbau der Lohnungleichheit beitragen. Bei Ärzt:innen kommt hinzu, dass ihre Ausbildung richtig teuer ist – da wäre es gut, wenn mehr Frauen dem Gesundheitssystem erhalten blieben, anstatt ihren Beruf wegen Unvereinbarkeit an den Nagel zu hängen.

Wie konservativ und veraltet ist es eigentlich, dass im Jahr 2025 Kindererziehung immer noch vorwiegend Frauensache ist? Dabei gibt es viele Männer, die sehr gern Zeit mit ihren Kindern verbringen und sie grossziehen möchten. Die familiären Pflichten müssen ebenbürtig aufgeteilt werden, damit Gleichstellung möglich ist!

Wie viele Ärzte in leitenden Positionen kennen Sie, die sich wünschen würden, mehr Zeit mit ihren Kindern verbracht zu haben? Ich kenne einige. Die Elternzeit würde die Vater-Kind-Beziehung stärken. Väter helfen ihren Kindern selbstständig, unabhängig und mutig zu werden – das sind essenzielle Eigenschaften für eine gesunde Persönlichkeitsentwicklung. Auch die psychische Gesundheit hängt von unserer Beziehung zum Vater ab. Und es liegt in der Natur der Sache, dass frühkindliche Beziehungen nur einmal nachhaltig aufgebaut werden können.

Hinzu kommt: Auch weniger gutverdienende Menschen könnten sich durch Annahme der Initiative mehr Elternzeit leisten. Das wiederum würde sich positiv auf die Bildungschancen ihrer Kinder auswirken – da ihre Eltern mehr Zeit hätten, sie zu unterstützen.

Die Schweiz wird vom Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) derzeit als das familienunfreundlichste Land Europas bewertet. Diese Zahlen verdeutlichen das: In den 38 OECD-Ländern, zu denen auch die Schweiz gehört, beträgt die Elternzeit im Mittel 54,4 Wochen. Das sind durchschnittlich 40 Wochen mehr als bei uns! Europaweit sieht es so aus: Finnland gewährt 177 Wochen, Norwegen 101, Österreich 73, Schweden 70, Deutschland 67 und Dänemark 52 Wochen. Bei Annahme der Initiative gäbe es in der Schweiz künftig gerade einmal 36 Wochen.

Alles in allem muss in meinen Augen jetzt etwas passieren! Deshalb unterstütze ich die Initiative für eine längere Familienzeit. Mache auch du deine Familie, Freunde und Familie auf die Initiative aufmerksam und lade sie dazu ein, zu unterschreiben. Hier kannst du Unterschriftenlisten und Material bestellen.

Von Lynn Jacobshagen, Ärztin

Bild: @Kelly Sikkema