
In Kompetenzen statt in Jahren denken
Die Delegierten der Ärztekammer haben Ende Oktober Monika Brodmann Mäder aus Interlaken zur neuen Präsidentin des SIWF gewählt. Die 58-jährige Fachärztin für Allgemeine Innere Medizin ist aktuell Leitende Ärztin am universitären Notfallzentrum des Inselspitals Bern sowie Senior Researcher am Institut für Alpine Notfallmedizin in Bozen, Italien. Sie bringt langjährige Erfahrung in der ärztlichen Weiter- und Fortbildung mit.
Wir haben Frau Brodmann einige Fragen gestellt, die uns unter den Nägeln brennen.
Frau Brodmann, zuerst einmal herzliche Gratulation zur Wahl! Wir beim VSAO Bern freuen uns ausserordentlich über mehr Frauenpower in diesem wichtigen Gremium. Zusammen mit Frau Gilli, die neu Präsidentin der FMH ist, bringen Sie deutlich mehr Diversität in diese medizinischen Spitzengremien.
Welche Schwerpunkte möchten Sie im SIWF in den kommenden Jahren setzen?
Es ist eindrücklich, wie viel in den gut zehn Jahren seit der Gründung des SIWF etabliert wurde und wie vieles gut läuft. Das was schon gut ist, soll natürlich auch so weitergeführt werden. Meine Schwerpunkte sehe ich im Bereich der sogenannten klinischen Bildung. Mit über 30 Jahren klinischer Erfahrung und einem Master in Medical Education kann ich diesen Bereich aktiv mitgestalten. Ich finde es enorm wichtig, Ärztinnen und Ärzte zu unterstützen, die sich vor Ort für Bildung engagieren. Wir könnten ihnen weitere Instrumente und zusätzliches Know-how für ihren wertvollen Einsatz zur Verfügung stellen. Ich kann mir auch vorstellen, dass wir die bereits bestehenden Teach-the-teacher-Formate ausweiten und stärker dezentralisieren. Wenn wir solche klinische Bildungsverantwortliche professionell begleiten und unterstützen, bringt dies das ganze Spital weiter. Ausserdem hoffe ich, dass wir in Zukunft Bildungsexpert*innen mit einem Master of Medical Education oder anderen Zusatzkompetenzen in der medizinischen Bildung verstärkt im SIWF einbinden können, damit wir unser Netzwerk weiter ausbauen können.
Im internationalen Vergleich ist die Schweiz in Bezug auf medizinische Bildung gut aufgestellt – den Masterstudiengang gibt es seit vielen Jahren, und die Abdeckung vor allem in den grossen Spitälern ist recht gut. Allerdings sind viele der Absolventinnen und Absolventen vor allem in ihrer eigenen Klinik als Einzelkämpfer*innen tätig. Wir brauchen eine bessere Vernetzung und Unterstützung dieser Personen. Das stärkt die Weiterbildung als Ganzes.
Welche Möglichkeiten sehen Sie, auch für Ärztinnen und Ärzte in einem Teilzeitpensum Weiterbildungen einfacher möglich zu machen?
Meiner Ansicht nach sollten wir stärker in Kompetenzen und weniger in Weiterbildungsjahren denken. In der medizinischen Ausbildung wurde vor mehreren Jahren diese Kompetenzorientierung mit den sogenannten PROFILES und den EPAs (Entrustable Professional Activities) eingeführt. Diese EPAs lassen sich gut in der Weiterbildung weiterentwickeln. Nehmen wir zum Beispiel die Wiederbelebung: Der Basic Life Support ist dabei die Grundlage von immer komplexer werdenden Kompetenzen. Im Medizinstudium stehen Herzmassage, Beatmung und die Bedienung eines AED im Vordergrund. In der Weiterbildung kommen die erweiterten Massnahmen wie Medikamente und Atemwegsmanagement dazu. Als höchste Kompetenzstufe könnte dann das Wissen über Konzept der e-CPR und der Einsatz eines ECMO definiert werden.
Mit der Kompetenzorientierung ist es dann nicht mehr entscheidend, wie viele Jahre oder Teilzeit-Jahre jemand vorweisen kann, sondern ob eine Ärztin, die Chirurgin werden will, die dafür nötigen Kompetenzen mitbringt. Die Eigenverantwortung steigt: Jede und jeder ist dann selbst dafür verantwortlich, sich diese Kompetenzen zu erarbeiten. Das sind durchaus hohe Anforderungen. Aber dieses Vorgehen ermöglicht eine bessere Integration von Teilzeit-Aktivitäten.
Um dieses Konzept der Kompetenzorientierung in der Weiterbildung umzusetzen, braucht es das Gespräch mit den Fachgesellschaften, braucht es ein Umdenken. Das erreichen wir sicherlich nicht in einem Jahr, das ist etwas Längerfristiges. Manche Fachgesellschaften haben mit diesem Prozess schon begonnen, wie zum Beispiel die Kardiologen, andere brauchen länger. Es ist sicher sinnvoll, mit denjenigen Fachgesellschaften zu starten, die offen sind für solche Veränderungen. Und dann weiterzuschauen, was die sinnvollen nächsten Schritte sind. Dabei muss man auch unangenehme Fragen stellen, wie zum Beispiel, ob sich der Aufwand der Umstellung lohnt, wenn eine Fachgesellschaft nur drei Weiterbildungskandidat*innen pro Jahr hat. Oder auch, wo die Gesellschaft steht und was die Bedürfnisse der Kandidatinnen und Kandidaten sind. Je nach Fach fallen die Antworten ganz anders aus, da eine Psychiaterin natürlich ganz andere Kompetenzen und Fertigkeiten braucht als eine Anästhesistin.
Ähnliches gilt für die ärztliche Fortbildung. Hier werden wir durch die aktuelle Situation mit der Absage von vielen Präsenz-Fortbildungen sowieso zum Umdenken gezwungen. Auch hier müssen wir neue Formate finden, wie wir Wissen und Kompetenzen entwickeln und vor allem beibehalten können. Es sollte nicht darum gehen, ob ich an einem Kongress teilgenommen habe, sondern darum, welches Wissen und welche Aktivitäten ich brauche, um meine Kompetenzen aktuell zu halten.
Für uns als SIWF stellt sich genau diese Frage: Wie können wir in der Weiterbildung kompetente Ärztinnen und Ärzte heranbilden und in der ärztlichen Fortbildung die vorhandenen Kompetenzen möglichst effizient erhalten? Es geht nicht darum, dass der SIWF produziert und die anderen konsumieren. Die Mitarbeit aller ist wichtig. Da bin ich mir beim VSAO sicher: Hier wird mitgedacht und unterstützt. Diese Haltung schätze ich sehr.
Sehen Sie Möglichkeiten, die Weiterbildungsqualität zu verbessern und besser zu kontrollieren?
Die Qualität von Bildung zu beurteilen, ist ein riesiger Aufwand. Am besten können das Menschen, die schon lange in der Bildung aktiv sind. In den Kliniken und Spitälern wissen die Weiterbildungsverantwortlichen in der Regel sehr genau, was gut läuft und wo Verbesserungspotenzial vorhanden ist. Das SIWF sollte diese Personen bei der Umsetzung von Veränderungen unterstützen – direkt dort, wo die Weiterbildung angeboten wird.
Mit Yvonne Gilli und Ihnen sind nun zwei Frauen in wichtigen Präsidien. Was wird sich dadurch verändern und wie können Sie diese Chance nützen, um Frauen in der Medizin besser in den Blick zu nehmen?
Es braucht Vorbilder. Yvonne Gilli und ich sind zwei Frauen, die nun Spitzenpositionen in der FHM einnehmen. Wir können Vorbildfunktionen erfüllen. Die Zukunft der Medizin ist weiblich: Das ist nun auch in den Präsidien abgebildet.
Interessanterweise bringt man das Bedürfnis nach Teilzeitarbeit vor allem in Verbindung mit Frauen. Wir erleben nun aber auch bei Männern immer deutlicher den Wunsch, die verschiedenen Lebensaspekte besser unter einen Hut zu bekommen. Die Frauen hatten hier eine Vorreiterrolle, die nun auch den Männer zugute kommt.
Uns Frauen wird auch immer wieder zugeschrieben, wir würden grösseren Wert auf Teamwork legen. Yvonne Gilli habe ich in den ersten Treffen als sehr gute Teamplayerin kennengelernt. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit ihr und dem Zentralvorstand der FMH – wo ja mit Jana Siroka auch die junge Generation der Ärzt*innen perfekt vertreten ist. Mir persönlich ist es sehr wichtig, zuzuhören und nicht auf Konfrontation zu gehen. Ich halte mehr von der Weiterentwicklung von Bestehendem und der vorsichtigen und transparenten Einführung von Veränderungen und Neuem. Selbstverständlich muss man Problemfelder angehen. Mir geht es nicht darum, meine Meinungen und Ideen durchzudrücken, sondern in guter Zusammenarbeit konstruktive Lösungen für alle zu entwickeln.