Interview Spital Frutigen
Am Spital Frutigen wird der Dienstplan von den Assistenzärzt:innen selbst erstellt. Dabei gilt es, die Dienste in einem kleinen Team mit interdisziplinär geführtem Notfall fair zu verteilen. Welche Voraussetzungen im Kollegium und von leitender Ebene erforderlich sind, berichten Emmanuel Kägi, Assistenzarzt Innere Medizin, Céline Ueltschi, Assistenzärztin Chirurgie und Silvio Gujer, Chefarzt Chirurgie im gemeinsamen Gespräch.
28.11.2023
Emmanuel und Céline, wie seid ihr zu eurem Dienstplan-Ämtli gekommen?
Emmanuel: Ich arbeite seit sechs Monaten auf der Medizin am Spital Frutigen. Nach einer Übergangszeit von zwei Monaten wurde mir vor vier Monaten die Dienstplanung übertragen. Diese erledige ich in der Regel während der regulären Arbeitszeit. Von meiner vorigen Anstellung bringe ich schon Erfahrung bei der Dienstplanung mit.
Céline: Dies ist meine erste Stelle nach dem Staatsexamen. Ich habe vor drei Monaten auf der Chirurgie angefangen. Da Emmanuel das Spital in wenigen Monaten wieder verlässt, wird er die Dienstplanung demnächst an mich übertragen. Wir haben grundsätzlich bei den Assistenzärzt:innen viele Rotationen¹. Ich kann etwas mehr Konstanz bieten, da ich ein Jahr Chirurgie und ein Jahr Innere Medizin hier absolvieren werde.
Silvio, bei euch wird der Dienstplan schon seit einigen Jahren durch die Assistenzärzt:innen erstellt. Wie kann es dazu?
Silvio: Wir möchten den Assistenzärzt:innen damit die Möglichkeit geben, die Stellenplanung aktiv mitzugestalten. So können sie eigene Vorstellungen und Bedürfnisse direkt umsetzen.
Bisher gab es pro Jahr zwei bis vier Assistenten-Konferenzen, wo Anliegen und Probleme besprochen wurden. Durch die Coronapandemie ist das leider etwas eingeschlafen. Ein Anliegen war zum Beispiel ein Pikettdienst fürs Wochenende. Dieser kann bei hohem Patientenaufkommen gerufen werden, um dem Tagdienst ausreichend Zeit für die Dokumentationsarbeit zu schaffen. Ich sah das damals kritisch, weil dadurch deutlich mehr Wochenenden mit Rufbereitschaft blockiert sind und so die Freizeitgestaltung leiden könnte. Aber letztlich hat für die damaligen Assistent:innen die punktuelle Arbeitsbelastung überwogen und wir haben den Dienst so eingeführt. Inzwischen hat sich während der Saison² dieser Pikett zusätzlich zum 10 Jahre früher eingeführten Visitendienst etabliert.
Wie sieht die Dienstplanung konkret aus?
Emmanuel: Wir planen für neun Assistent:innen, davon je vier auf der Inneren Medizin und auf der Chirurgie sowie eine Stelle auf der Gynäkologie (diese ist von den Nachtdiensten ausgenommen). Ab November bekommen wir noch eine internistische Stelle dazu. Wir sind zuständig für die Notfallstation, die interdisziplinär geführte Bettenstation mit maximal 57 Betten (davon momentan 38 durch die Pflege betrieben), den OP und das medizinisch geführte Pflegeheim. Unter der Woche betreuen wir die Patient:innen nach Fachdisziplin. Während der Nacht- und Wochenenddienste ist ein:e Kolleg:in für das gesamte Haus zuständig. Ein gewisses Basiswissen und chirurgische Fertigkeiten müssen also bei allen vorhanden sein.
Auf der Medizin gibt es zwei Tagdienste für Station und Notfall. Einer von beiden ist bis zum Eintreffen des Nachtdienstes um 20 Uhr im Haus. Die Überzeit, die hier generiert wird, versuchen wir an den übrigen Tagen stundenweise abzubauen.
Céline: Auf der Chirurgie entscheiden wir meist in der Frühbesprechung, wer an diesem Tag in den OP geht, wer auf den Notfall oder auf Station. Dabei wird geschaut, dass die OP-Zeiten fair verteilt werden, da der OP-Katalog für die Facharztausbildung entscheidend ist.
Silvio: Primär müssen wir als kleines Spital unsere Vorhalteleistung erfüllen. Es muss also immer mindestens ein:e Ärzt:in für Notfälle im Haus anwesend sein. Darauf basierend erbringen wir die weiteren Leistungen wie Stationsarbeit, Operationen und fachliche Spezialisierungen. Konkret muss also primär die Notfallstation versorgt sein, anschliessend wird die übrige Arbeit erledigt. Natürlich ist immer von jeder Disziplin ein:e Kaderärzt:in im Hintergrund erreichbar.
Unser Kaderteam besteht aus dem jeweiligen Chefarzt und drei Leitenden Ärzt:innen für Chirurgie respektive Innere Medizin und Gynäkologie. Die Kaderärzte arbeiten noch mit den klassischen 36 bis 72 Stunden-Diensten, was in so einem kleinen Team einige Dienste pro Woche bedeutet. Erfahrungsgemäss führt eine Kaderbesetzung von weniger als vier Vollzeitäquivalenten zu übermässiger Arbeitsbelastung und langfristig zum Ausscheiden.
Könnt ihr eure Arbeit grundsätzlich innerhalb der regulären Arbeitszeit erledigen?
Céline: Viele von uns sind im ersten Berufsjahr. Da ist man oft noch nicht so effizient und arbeitet auch mal mehr als zehn Stunden. Da die Grundstimmung bei uns sehr kollegial ist, überwiegt dennoch eine positive Erfahrung.
Silvio: Die Überstunden entstehen meist während der Stationsarbeit. In der momentanen Besetzung ist es möglich, diese zeitnah kompensieren zu lassen. So erhalten wir u.a. auch die Attraktivität unserer Stellen.
Entscheidend ist, dass auch intensive Dienste als sinnstiftend und konstruktiv erlebt werden. Das erreicht man, indem man sich gegenseitig unterstützt und die Assistent:innen nicht das Gefühl haben, in schwierigen Situationen allein gelassen zu werden.
Grundsätzlich können gerade in einem kleinen Spital Spitzen im Patientenaufkommen nicht so gut abgefedert werden wie in einem grösseren Spital. Deshalb muss man sehr auf ausreichende Erholungszeiten achten. Das versuchen wir unter anderem mit zusätzlichen Kompensationstagen.
Emmanuel: Wir beziehen auch unsere Wahljahrstudent:innen von Anfang an sehr in die klinische Arbeit mit ein. Sie können uns erheblich entlasten und haben gleichzeitig die Möglichkeit, eine gewisse Verantwortung zu übernehmen – natürlich mit entsprechender Supervision.
Wie könnt ihr die Weiterbildung garantieren?
Emmanuel: Zwangsläufig können durch Schichtbetrieb und Kompensationstage nur die Hälfte der Assistenzärzt:innen die morgendlichen Fortbildungen wahrnehmen. Während des Tages findet durch die Kaderärzt:innen aber viel implizite Weiterbildung statt, zum Beispiel in konkreten Falldiskussionen und Sonografien. Ausserdem stehen uns fix fünf Tage externe Weiterbildung pro Jahr zur Verfügung.
Silvio: Durch die Corona-Pandemie haben wir einige Fortbildungs-Angebote digitalisiert. Die Nutzung hielt sich aber in Grenzen. Wenn jemand eine konkrete Weiterbildung anstrebt und diese auch in seiner Freizeit absolviert, werden zusätzlich zu den fünf Arbeitstagen auch die Kurskosten gerne von uns übernommen. Schliesslich profitieren wir direkt von dem angeeigneten Wissen.
Ist Teilzeit-Arbeit bei euch eine Option?
Silvio: Grundsätzlich möchten wir dies möglich machen. In einem kleinen Team besteht die Schwierigkeit, die Dienste gerecht und entsprechend dem reduzierten Pensum zu verteilen. Die Teilzeit-Kräfte möchten allerdings ihre freien Tage am Stück nehmen, was für die Planung am einfachsten wäre. Gerade auf der Chirurgie verlängert sich die Ausbildung in Teilzeit deutlich, selbst wenn man im Verhältnis zum Pensum mehr im OP eingeteilt ist.
Wo seht ihr die grössten Schwierigkeiten in der Dienstplanung?
Emmanuel: Wir haben auf Assistentenebene ca. zehn Personalwechsel pro Jahr. Manchmal können Stellen erst kurzfristig besetzt werden. So ist ein Vorlauf von vier Wochen für den Dienstplan oft nicht möglich. Hinzu kommen kurzfristige Frei-Wünsche. Die Einarbeitungszeit können wir in der Regel aber einhalten. Diese besteht aus einem Kennenlern-Tag, zwei Tagen Einführung in den administrativen Betrieb und Tagesabläufe sowie einer Woche Parallelbesetzung mit eine:r erfahrenen Kolleg:in. Nächte planen wir nach Möglichkeit erst nach acht Wochen.
Céline: Da ich in der Sommerzeit und bei Vollbesetzung angefangen habe, hat die Einarbeitung bei mir hervorragend geklappt.
Silvio: In der Stellenbesetzung zeigt sich für mich ein Generationenwechsel, der herausfordernd ist. Oft erhalte ich sehr kurzfristige Anfragen mit individuellen Wünschen.
Ihr macht den Dienstplan für eure Kolleg:innen. Gibt es da Konflikte in der Hierarchie?
Emmanuel: Wenn ein:e Kolleg:in den Dienstplan schreibt, ist die Hemmschwelle für kurzfristige Wünsche sicher etwas niedriger. Letztlich kann man nicht immer allen gerecht werden. Das wird grundsätzlich aber respektiert.
Céline: Ich schätze es sehr, wenn ein:e Kolleg:in die Verantwortung übernimmt, für uns den Dienstplan zu erstellen. Da kann ich es auch akzeptieren, wenn nicht alle meine Wünsche berücksichtigt werden können.
Silvio: Ich kontrolliere regelmässig im Hintergrund, ob das Arbeitszeitgesetz in der Dienstplanung eingehalten wird und alle Beteiligten zufrieden sind. Ansonsten obliegt es dem Spielraum der Assistenzärzt:innen, wie sie den Dienstplan gestalten.
Ist den Weg hin zu einer „42 plus 4“-Arbeitswoche realistisch?
Silvio: Für mich als Assistenzarzt war damals das Modell „42 plus 8“ deshalb so erstrebenswert, weil es bedeutete, dass ich ein explizites Anrecht auf acht Stunden Weiterbildung pro Woche habe. Mit „42 plus 4“ muss die implizite Weiterbildung zwingend in die 42 Stunden reguläre Arbeitszeit integriert werden und darf auf keinen Fall verloren gehen.
Werden euch die aktuellen Spital-Schliessungen in der Dienstplanung betreffen?
Silvio: Momentan planen wir unsere Nachtdienste als „Pikett im Betrieb“ von 20 bis 8 Uhr. Das ist möglich, weil die Nächte in der Regel sehr ruhig sind und man davon ausgehen kann, dass der Nachtdienst oft eine zusammenhängende Ruhezeit von mindestens vier Stunden hat. Es muss abgewartet werden, wie uns der Bettenmangel hier zukünftig treffen wird.
Das Interview wurde am 12.10.2023 geführt von Nora Höger, Kommunikationsverantwortliche VSAO Bern.
¹Anm. d. Red.: Für die Facharztausbildung Innere Medizin oder Chirurgie kann im Spital Frutigen je maximal ein Jahr (100-Prozent-Pensum) angerechnet werden (Chirurgie B1-Spital; Innere Medizin C-Spital). Für die Gynäkologie sind es 3 Jahre (B Spital).
² Anm. d. Red.: Während der Wintermonate kommt es in den Bergnahen Gebieten gehäuft zu Freizeitunfällen beim Wintersport. Dies wird als «Saison“ bezeichnet.
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