Interview mit Sarah Fabian

Für unsere Kampagne #BerufseinstiegMedizin interviewten wir Sarah Fabian. Die 33-jährige gibt Tipps zur Karriereplanung und erzählt uns, wie sie ihr Teilzeitpensum umsetzt.

07.02.2022

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Warum hast du dich für Gynäkologie entschieden?
Mein Beruf ist sehr abwechslungsreich. Kein Tag ist wie der andere. Ich weiss nie, was auf mich zukommt. Einerseits begleiten wir Geburten, sind für gynäkologische Notfälle zuständig, sowie für Frauen auf der gynäkologischen Station, auf der anderen Seite betreuen wir Patientinnen aber auch längerfristig, beispielsweise in der Schwangerschaft und bei onkologischen Erkrankungen, manchmal bis zum Lebensende. Unsere Tätigkeiten sind enorm vielfältig: vom empathischen Gespräch über den Ultraschall bis hin zum Operieren gehört alles in meine Fachrichtung. Zudem hat man sehr viele Erfolgserlebnisse. Es ist immer sehr erfüllend, wenn ein Kind zur Welt kommt und die Mutter mit dem Kind im Arm nach drei Tagen nach Hause geht. Das hat man sonst in der Medizin nirgends.

Wolltest du schon immer Gynäkologin werden?
Nein, bis zum Praktikumsjahr wollte ich Pädiaterin werden. Doch während meines Blockpraktikums auf der Gynäkologie hat es mich gepackt.

Wie sieht dein typischer Tag aus? Was sind besondere Herausforderungen deines Fachgebiets?
Das hat miteinander zu tun: es gibt keinen “typischen” Tag – und genau das ist die Herausforderung. Jederzeit kann eine Geburt dazwischenkommen und man organisiert seinen Tag permanent rund um die nicht planbare Geburtshilfe. Geburtshilfe und Schwangerschaftskontrollen machen einen Grossteil meiner Arbeit aus. Dazu kommen viele gynäkologische Jahreskontrollen, wir betreuen Frauen mit akuten Bauchschmerzen oder vaginalen Blutungen. Die Arbeiten hängen sehr stark davon ab, wie gross das Spital ist, in dem man arbeitet und in welchem Bereich man eingeteilt ist.

Wie hast du deine Stellen geplant? Was hat dich jeweils motiviert?
Ich habe mich spontan an verschiedenen Spitälern beworben und meine Entscheidung für den Stellenantritt von meinem Gefühl während und nach dem Vorstellungsgespräch abhängig gemacht. Meine ersten zwei Assistentzjahre habe ich in einem mittelgrossen Spital absolviert. Das kann ich empfehlen, weil man schnell viel Allgemeinwissen und Erfahrung in Gynäkologie und Geburtshilfe sammeln kann. Danach kam ich zurück in meine Heimatstadt und arbeitete dreieinhalb Jahre im Zentrumsspital. In dieser Zeit ist meine Tochter zur Welt gekommen und ich habe nach der Elternzeit Teilzeit gearbeitet. Aufgrund der kurzfristig wechselnden Arbeitspläne war die Organisation der Kinderbetreuung aber so schwierig, dass ich nach längerem Probieren beschlossen habe, in ein kleineres Spital zu wechseln.

Was denkst du über Teilzeit? Wie bringst du Arbeit, Familie und Zeit für dich unter einen Hut?
Teilzeit ist in der Gynäkologie grundsätzlich gut möglich. Viele Oberärzt:innen arbeiten Teilzeit. Gerade, weil man auch ambulant arbeiten kann, ist eine flexible Einteilung sicherlich auf dem Level Fachärzt:in gut planbar. Auch Assistenzärzt:innen können immer besser Teilzeit arbeiten, jedoch muss man dafür beharrlich einstehen und, wenn nötig, halt mehrere Gespräche mit den Vorgesetzten einfordern. Die meisten Chef:innen sind nicht begeistert, wenn man von 100 Prozent plötzlich auf 60 Prozent reduzieren möchte. Aber durch unsere hochstehende Ausbildung sind wir eigentlich in einer guten Verhandlungsposition. Es lohnt sich, klar zu wissen, wie viele Stellenprozente man arbeiten kann und will – und dies auch beharrlich und klar zu kommunizieren. Den OP-Katalog voll zu bekommen ist in Teilzeit allerdings eher schwieriger. Punkto Work-Life-Balance würde ich sagen, es ist wie überall in der Medizin: Man weiss meist nicht, wann man abends fertig ist und das Spital verlassen kann. Damit wird alles weitere unplanbar, auch die Freizeit. Dazu kommt der Schichtbetrieb. Geburtshilfe ist ein Fachgebiet mit viel Nachtarbeit.

Wie gehst du mit der maximalen Soll-Arbeitszeit um?
Wie in vielen anderen Fächern sind auch wir meist für 50 Stunden eingeplant. Dazu kommt dann noch die Überzeit. Bei Personalmangel wird die Zehn-Stunden-Schicht einfach auf eine 12 oder 14 Stunden verlängert. Ich hätte es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren können, das Spital auf Biegen und Brechen nach zehn Stunden zu verlassen – aus Pflichtgefühl gegenüber meinen Patientinnen. Und nach der Arbeit fällt dann noch die Dokumentation an. Arbeitet man zu lange, heisst es, man sei zu langsam – die Dokumentation müsste innerhalb der Schicht erfolgen. Gerade als Anfänger:in bekommt man schnell den Eindruck, man selbst sei das Problem und versucht permanent zu optimieren. Wir haben uns als Team mehrmals organisiert und uns für eine Verbesserung der Situation eingesetzt, teilweise mit Erfolg. Ich als Einzelperson habe mich aber nicht widersetzt. Ich bin immer geblieben, bis meine Arbeit für mich zufriedenstellend erledigt war, inklusive Dokumentation.

War das psychisch immer gesund?
Nein, war es nicht. Ich würde sagen, dass ich immer wieder am Limit war. Meist blieb keine Zeit für Freizeit. Die Work-Life-Balance war oft nicht gut. Einige meiner Kolleg:innen hatten ein Burnout oder sind kurz davor.

Wie könnte man das ändern?
Ich würde jedem raten, über Teilzeit nachzudenken. Es ist enorm wichtig darauf zu achten, dass man genügend Zeit für sich selbst hat, gerade in arbeitsintensiven Zeiten. Ausserdem kann man sich als Team zusammenschliessen und für seine Rechte einstehen.

Gibt es einen guten Zeitpunkt, um schwanger zu werden? Hast du deine Schwangerschaft geplant?
Ich hatte einen Kinderwunsch und wollte das nicht länger meiner Karriere unterordnen. Für Ärztinnen gibt es wohl keinen passenden Zeitpunkt, um schwanger zu werden und ein Kind zu bekommen. Dies würde ich zumindest rückblickend so bilanzieren. Wahrscheinlich trifft das sogar auf alle berufstätigen Frau in unserer Gesellschaft zu.

Wie ist es, als schwangere Ärztin zu arbeiten?
Wir haben grundsätzlich einen anstrengenden Job mit sehr langen Arbeitstagen. Einiges ist während der Schwangerschaft schon erleichtert, zum Beispiel müssen Schwangere keine Dienste machen und die Soll-Arbeitszeit reduziert sich von zehn auf neun Stunden. Gleichzeitig kann man es auch umgekehrt sehen: Bei mir zum Beispiel wurden keine Sprechstundentermine gekürzt, sondern ich hatte für die gleiche Anzahl Patient:innen einfach eine Stunde weniger Zeit als vor der Schwangerschaft. Auch wenn ich eine völlig komplikationsfreie Schwangerschaft hatte, ich empfand die Zeit als anstrengend und fühlte mich weniger leistungsfähig. Es ist energieraubend, ein dreieinhalb Kilo schweres Wesen in sich zu tragen. Pausen sind in unserem Beruf generell schwierig, das gilt natürlich genauso für Schwangere und Stillende. Man hat immer ein Telefon dabei. Der Tag und unser Einsatz sind unberechenbar. Wenn ich mal durchatmen konnte, war ich zufrieden. Damit rechnen konnte ich allerdings nicht.

Gynäkolog:innen sind den Umgang mit schwangeren Frauen gewohnt. Sind sie es auch mit schwangeren Mitarbeiterinnen?
Prinzipiell sicher, ja. Es gibt in vielen Bereichen sehr viel Verständnis. Aber Gynäkologinnen haben das gleiche Problem wie viele schwangere Frauen in unserem System: es ist nämlich kein Mutterschutz vor der Geburt vorgesehen. Wenn man also aufgrund von normalen und nachvollziehbaren schwangerschaftsbezogenen Beschwerden nicht mehr arbeiten kann, führt kein Weg an einer Krankschreibung vorbei. Dieser Umstand war für mich, wie für viele meiner Patientinnen ein Knackpunkt: Man ist in einer völlig unproblematischen Schwangerschaft, hat absolut nachvollziehbare Beschwerden, welche das Arbeiten sehr beschwerlich und mühsam machen, aber man muss sich durch eine Krankschreibung legitimieren lassen, dass man nicht mehr arbeiten kann. Das löst bei vielen Frauen, so auch mir, ein schlechtes Gewissen aus und man möchte möglichst lange im Arbeitsprozess bleiben, um nicht mühsam fürs Team und die Dienstplanung zu sein. Zwar rechnet man gegen Ende der Schwangerschaft mit einer Reduktion der Arbeitsfähigkeit, aber wegen der nötigen Krankschreibung wird diese Reduktion unplanbar und somit für Arbeitgeber:innen, wie Arbeitnehmerinnen unbefriedigend. Das macht auch vor Gynäkolog:innen keinen Halt. Ich wäre dafür, dass man einen klar definierten Zeitraum vor der Geburt unter Mutterschutz stellt. Das würde es für alle einfacher machen.

Hast du durch die Schwangerschaft Einbusse in deiner Weiterbildung gehabt?
Grundsätzlich werden die Assistent:innen am meisten gefördert, welche 150 Prozent arbeiten können und wollen. Die haben dann auch am schnellsten ihren Facharzttitel. Seit der Schwangerschaft kann ich dieses Commitment nicht mehr bieten.

Was ist ein Logbuch und wie bist du damit umgegangen?
Im Logbuch werden alle Ausbildungsstellen und die dort erlernte Fähigkeiten dokumentiert. Der Chef der Klinik unterschreibt diese Dokumentation am Ende der Anstellung. Zum Einreichen des Facharztes muss das Logbuch vollständig sein. In der Gynäkologie muss man, wie in allen chirurgischen Fächern, diverse Operationen in unterschiedlicher Anzahl dokumentieren können. 80 Prozent sind Pflicht, damit man die praktische Fachärztinnen-Prüfung einreichen kann. Auch nach fünf Jahren Arbeit finde ich es immer noch schwierig einzuschätzen, was es brauchen würde, damit man den Katalog erfüllt. Es ist so zufällig, welche Eingriffe man machen kann. Gerade bei der Geburtshilfe ist absolut nicht planbar, welche Komplikationen in meinen Diensten vorkommen. Zudem hängt die Weiterbildung sehr vom Goodwill der Vorgesetzten ab. Deshalb ist es unplanbar und unberechenbar, wann ich meinen Facharzttitel erlangen werde. Dieses System kann auch zu Problemen im Team führen: Wenn verschiedene Assistenzärzt:innen noch eine bestimmte Operation brauchen, um ihren Katalog zu vervollständigen, kann ein Wettkampf um die Eingriffe entstehen. Mit der Zeit ist es sehr frustrierend, wenn man bestimmte Leistungen nicht erbringen kann, die man unbedingt für den Titel brauchen würde.

Welche Ratschläge gibst du jüngeren Kolleg:innen?
Grundsätzlich dachte ich, man würde in einem grossen Spital schneller vorankommen. Ich dachte: Wo mehr Geburten sind, sind auch mehr Geburtskomplikationen, also mehr Eingriffe, die man erlernen kann. Aber: Dort gibt es auch mehr Assistenzärzt:innen, die diese Eingriffe ebenfalls machen möchten. Ich hatte an den kleineren Spitälern mehr Gelegenheiten zum Operieren als im Zentrumsspital. Und: Macht euch nicht zu viel Druck, den Facharzttitel schnell erreichen zu wollen. Es ist kaum planbar.

Assistent:innen sind meist befristet angestellt, was man auch als Privileg nutzen kann. Ich habe zwischen den Stellen immer wieder längere Pausen und Urlaube eingelegt, was ja sonst während der Anstellungen nicht so einfach möglich ist.

Und ich würde allen raten, Teilzeitstellen zu diskutieren und so sicherzustellen, ein Leben neben der Arbeit zu haben. Auch wenn es länger dauert bis zum Facharzttitel.

Punkto Kinderwunsch weiss ich nicht, ob es einen idealen Zeitpunkt dafür gibt. Ich würde mich dabei nicht nur nach der Arbeit richten, sondern eher danach, was allgemein im Leben stimmig ist.

Wo willst du in zehn Jahren stehen?
Ich kann mir sowohl eine Praxis wie ein Spital als Arbeitsort vorstellen. Für die Praxis sprechen einige Faktoren, wie zum Beispiel die persönlichere und längerfristige Betreuung der Patientinnen, geregelte und selbstbestimmte Arbeitszeiten und die Organisation meiner Praxis nach meinen eigenen Vorstellungen. Im Spital gefällt es mir aktuell auch gut, insbesondere die Abwechslung, die Operationen und die Geburten. Im Ausland zu arbeiten war schon immer ein Wunsch von mir, ich weiss allerdings noch nicht, ob das mit einem schulpflichtigen Kind zu vereinbaren sein wird. Kurz: Wir werden es in zehn Jahren sehen.

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