Interview mit Franz Fäh

Für Franz Fäh, Chefarzt der Geriatrie im Spital Belp, geht es «nicht nur um die korrekte Umsetzung des Arbeitszeitgesetzes, sondern um eine produktive Arbeitsstimmung». Für eine gelungene Weiterbildung im Arbeitsalltag benötigt es ausserdem sowohl die Bereitschaft der Vorgesetzten, Wissen zu vermitteln, als auch den Mut der Assistenzärzt:in, dieses einzufordern. Welche Rahmenbedingungen dafür mit der Dienstplanung geschaffen werden können, lesen Sie hier im Interview.

07.12.2023

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Herr Fäh, wie kommt es, dass Sie als Chefarzt auch für die Dienstplanung zuständig sind?
Dienstplanung ist für mich auch ein Führungselement. Es geht dabei nicht nur um die korrekte Umsetzung des Arbeitszeitgesetzes, sondern um eine produktive Arbeitsstimmung. Dafür ist es wesentlich, die Zusammenarbeit zwischen den Einzelnen im Team optimal zu gestalten. Auch Über- oder Unterforderung im Arbeitsalltag führen zu Unzufriedenheit – das wollen wir natürlich vermeiden.

Mein Anspruch an mich als Chefarzt ist es, den Überblick zu behalten und dabei nahe an meinen Mitarbeitenden zu bleiben. Ich will möglichst alle Bedürfnisse berücksichtigen können. Das bedeutet auch, dass alle Hierarchiestufen gleichbehandelt werden. Sicher haben wir es dabei als kleine Reha-Klinik einfacher als grössere Abteilungen.

Wie ist der Dienstplan konkret bei Ihnen geregelt?
Unser Team setzt sich zusammen aus vier Kaderärzt:innen, davon eine 80-Prozent-Stelle, und sieben Assistenzärzt:innen, davon zwei 80-Prozent- und eine 60-Prozent-Stelle. Teilzeitarbeitende mit Kindern benötigen in der Regel fixe freie Tage pro Woche. Das macht es in der Stationsplanung manchmal etwas kompliziert – einfacher wären zusammenhängende Abwesenheiten von einer oder mehreren freien Wochen. Weitere Herausforderungen sind Kompensationstage vom Wochenende, manchmal kurzfristige Ausfälle. In der Regel können wir das abfangen. Hier unterstützen wir auch seitens der Vorgesetzten. Wir möchten Teilzeitarbeit möglich machen. Dafür brauchen wir ein gutes Übergabe-System, um die Patientensicherheit gewährleisten zu können.

Der Dienstplan ist bei uns in der Regel drei Monate im Voraus für alle einsehbar. Einzelne Frei-Wünsche und Kompensationstage plane ich etwas kurzfristiger. Überzeiten versuchen wir kompensieren zu lassen. Da wir ein kleines Team sind, können wir Änderungswünsche meist direkt besprechen. Die Umsetzung ins PEP übernimmt dann das Sekretariat.

Neben den normalen Stationsdiensten haben wir jeden Tag einen Pikettdienst: Die Assistenzärzt:in ist bis 18 Uhr auf der Station anwesend. Anschliessend besteht Rufbereitschaft. In der Regel kommen ein bis drei Anrufe pro Nacht. Ein:e Fachärzt:in ist für Rückfragen telefonisch erreichbar. Für den Einsatz vor Ort stellen wir bei Bedarf ein Dienstauto zur Verfügung, falls im Dienst eine Intervention vor Ort nötig ist. Bei nicht ausreichender Ruhezeit im Pikett können wir nach dem Morgenrapport die betreffende Person ins Frei gehen lassen. Ansonsten wird am Tag nach dem Dienst weitergearbeitet. Das Wochenende geht von Freitagabend bis Montagmorgen. Kompensationstage werden vor und nach dem Wochenende eingeplant. Immer wieder wird darüber diskutiert, ob man lieber kürzere Wochenenden und dafür mehr Dienste oder längere Wochenenden mit mehr Kompensation möchte.

Ist das Arbeitszeitgesetz für den ärztlichen Alltag überhaupt praxistauglich?
Das Arbeitszeitgesetz ist zum Schutz der Arbeitnehmenden geschaffen worden. In Einzelfällen kann man aus meiner Sicht im Sinne der Mitarbeitenden leicht von den Vorgaben abweichen, dafür gibt es aber klare Grenzen. Wer übermüdet arbeitet, gefährdet die Patient:innen.

Die Höchstarbeitszeit von 50 Stunden wird leider oft als Soll-Arbeitszeit verstanden. Man sollte nicht ins Minus rutschen, wenn man die gleiche Arbeit in weniger Zeit erledigen kann. Wenn eine Person tatsächlich ihr Leben der Medizin verschrieben hat und über die vorgesehenen Zeiten hinaus arbeitet, suche ich in einem Mitarbeitergespräch Spielraum für Lösungen. Eine grosse Herausforderung sind die Unterschiede in der Effizienz. Dafür braucht es Lösungen, die von allen als hinreichend gerecht empfunden werden. Wenn alle Kolleg:innen Überstunden machen, ist wohl der Personaletat nicht passend. Wenn Einzelne für die gleichen Arbeiten länger brauchen als die meisten anderen, dann ist es wichtig, mit diesen Personen zu schauen, woran das liegen könnte und was sich verändern lässt.

Wie erleben Sie den viel beschworenen Generationenwechsel?
In der Medizin geht es häufig nach dem „Alles-oder-Nichts“-Prinzip. Der Anspruch von Bewerber:innen auf Teilzeit wird noch heute oft als Problem angesehen. Neben der Pensumfrage ist ist die Reife entscheidend. Wer einen Familienhaushalt koordinieren kann, ist oft auch souverän bei der Führung einer Station. Ausserdem müssen wir in Zeiten des Fachkräftemangels die Vereinbarkeit von Beruf und Familie gewährleisten können, sonst verlieren wir v. a. Mütter und Teilzeitarbeitende im klinischen Alltag.

Welche Besonderheiten sehen Sie in Ihrer Abteilung?
Bei uns starten sehr viele Berufsanfänger:innen. Die meisten bleiben nur ein Jahr, da nicht mehr an die Ausbildung zum Facharzt Innere Medizin angerechnet werden kann.

Eine Schwierigkeit besteht immer in den Übergangs- und Einarbeitungsphasen. Da wir diese in unserem kleinen Team kaum überlappend planen können, sind die Vorgesetzten gefragt: Sie fangen mit den Assistent:innen jedes Mal „bei Null“ an und dürfen sich nicht zu schade sein, selbst die einfachsten Dinge immer wieder neu zu vermitteln. Gleichzeitig ist es eine grosse Freude, die Assistent:innen in ihrer Entwicklung zu begleiten.

Die Breite der medizinischen Fragestellungen ist in unserer Abteilung sehr attraktiv. Zusammen mit dem Tiefenau Spital¹ decken wir sowohl Akut- als auch rehabilitative Geriatrie ab. Ausserdem bieten wir eine solide Grundausbildung für Berufsanfänger:innen an.

Erfahrungsgemäss kommen neue Kolleg:innen durch Mund-zu-Mund-Propaganda zu uns oder waren bereits als Wahljahr-Studierende bei uns.

Wo sehen Sie die Herausforderungen in der Dienstplanung?
Die grössten Herausforderungen ergeben sich, wenn im Leistungsangebot oder im Personalbudget kurzfristig Änderungen beschlossen werden. Seit Einführung der so genannten „Stellensteuerung“² müssen wir für jede regulär freiwerdende Stelle einen Antrag stellen. Diese Anträge werden zwar meist bewilligt, die Spitalleitung kann aber kurzfristig eine Kürzung im Stellenbudget vornehmen. Das kann problematisch werden, wenn eine Anstellung 1-2 Jahre im Voraus vereinbart worden ist.

Extrem schwierig für die Planung sind Langzeitkranke. Aufgrund des hohen Spardrucks sind wir sehr limitiert mit Ersatzanstellungen. Ähnliches gilt für den Mutterschaftsurlaub und unbezahlte Elternzeit – wobei hier mit ausreichender Vorausplanung meist eine Vertretung gefunden werden kann.

Wie gestalten Sie die Weiterbildung im stationären Alltag?
Die implizite Weiterbildung beginnt mit der morgendlichen Visite und endet bei Arbeitsschluss, immer angepasst an den individuellen Wissensstand der Assistenzärzt:innen. Implizite Weiterbildung gelingt nur mit der Bereitschaft der Vorgesetzten, Wissen zu vermitteln – und der Bereitschaft der Assistent:innen, wissen zu wollen. Bei Vorgaben bzgl Diagnostik, Therapie ist das Verständnis für das “Warum” entscheidend.

Die expliziten Weiterbildungen bieten wir oft gemeinsam mit der Akutgeriatrie im Spital Tiefenau an, jeweils an einem Standort live und am anderen über Videokonferenz. Da wir in unserem kleinen Team sehr eng zusammenarbeiten, gehen wir meistens auch geschlossen zu den Weiterbildungen.

Was sagen Sie zu den aktuellen Spitalschliessungen?
Wir hoffen sehr, dass wir zukünftig die gleiche Anzahl Weiterbildungsstellen anbieten können wie bisher. Für Staatsabgänger:innen ist das wichtig, weil unsere Stellen für sie sehr attraktiv sind. Die familiäre Atmosphäre und die Überschaubarkeit der Abläufe in einem kleineren Spital ermöglichen in der Regel einen sanfteren Einstieg in den Berufsalltag.

Das Interview wurde am 29.08.2023 geführt von Nora Höger, Kommunikationsverantwortliche VSAO Bern.

¹ Anm. d. Red.: Die Akut-Geriatrie des Tiefenau Spitals wird im Januar 2024 an den Inselcampus gezügelt.
² Anm. d. Red.: Die „Stellensteuerung“ wurde in der Inselgruppe in den letzten Jahren zur Regulierung des Personalbestands eingeführt und beinhaltet u.a., dass jede Neueinstellung zentral bewilligt werden muss.

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